Fahrschule ist schlimmer als eine Tanzstunde

■ Verweigerungshaltung gegenüber der Erwachsenenwelt oder Untergrabung der Fahrschullehrer-Mafia – die Gründe, keinen Führerschein zu machen, sind vielschichtig

Am achtzehnten Geburtstag teilt sich die Menschheit in zwei Lager: Diejenigen mit und diejenigen ohne Führerschein. Die einen können von nun an so lange trinken, wie sie wollen, die anderen müssen nüchtern bleiben, können dafür aber ohne fremde Hilfe umziehen. Die einen vertreiben sich von nun an die Zeit mit Berichten über Einparkabenteuer, die anderen lauschen solchen Erzählungen mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination und sagen sich: So nicht! Führerschein? Ohne mich!

Vinko, Jurastudent im ersten Staatsexamen, kann sich noch genau erinnern, warum er sich damals nicht in die Fahrschule begeben hat. Vor allem ökologische und politische Gründe habe er ins Feld geführt, um sich den Fahrstunden zu verweigern. Im nachhinein halte er seine damalige Argumentation zwar noch für richtig, aber auch für nicht ganz ehrlich. Eigentlich sei es ihm darum gegangen eine bestimmte Verpflichtung zu umgehen. Die großen Argumentationsgebäude hätten vor allem zur Rationalisierung eines Unbehagens gedient. „Wer einmal das Gesicht eines achtzehnjährigen Oberschülers gesehen hat, der sich in Papis Auto der Verantwortungslogik stellt, weiß was ich damals nicht leiden konnte.“ Den Führerschein zu machen wäre für den 26jährigen Vinko damals noch schlimmer gewesen, als zur Tanzschule zu gehen. „Im Kern ging es mir darum, mich einem zentralen Initiationsritus zur Erwachsenenwelt zu verweigern.“

Heute ärgert Vinko seine damalige Protesthaltung etwas. Er brauche zwar kein Auto, hätte aber gerne einen Führerschein, um nicht von anderen abhängig zu sein, wenn es etwas zu transportieren gebe. „Der Leidensdruck ist aber noch nicht hoch genug, als daß ich mir die Zeit nehmen würde.“ Wenn er eines Tages doch noch die Fahrerlaubnis machen werde, dann nicht hier, sondern in Frankreich. Da koste es weniger als die Hälfte und zumindest die deutsche Fahrschullehrer-Mafia könne er so umgehen.

Hans hält dagegen nach wie vor die ökologische Fahne hoch. Er arbeitet in der Rechtsabteilung einer Firma und sieht gerade nicht aus wie der Idealtyp des „Führerscheinverweigereres aus Gewissensgründen“. Eher ähnelt er jemandem, der am Wochenende sein Auto aus der Garage holt und wäscht. Vor zehn Jahren habe er den Führerschein aus Autofeindschaft nicht gemacht, und dazu stehe er auch heute noch.

„Ich bin Stadtbewohner, und in der Stadt brauche ich kein Auto. Wofür also einen Führerschein?“ Tagsüber komme er prima mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln zurecht, nachts nehme er, wenn es gar nicht anders gehe, lieber ein Taxi. Das sei zwar ökologisch nicht völlig korrekt, aber besser als betrunken fahren allemal. Natürlich sei das Luxus, aber letzten Endes nicht so schlimm wie Autofahren und vor allem nicht so teuer: „Wenn man keinen Führerschein macht, sich kein Auto kauft, keine Steuern und kein Benzin zahlen muß, dann kann man guten Gewissens eine Menge Taxi fahren.“

Carola hatte mit siebzehn als Beifahrerin einen Motorradunfall und, kaum hatte sie sich davon erholt, einen Autounfall. Als sie sich eigentlich schon entschlossen hatte, sich nie wieder in ein Auto zu setzen, geschweige denn jemals eine Fahrerlaubnis zu besitzen, ließ sie sich nochmal überreden eine Autotour durch den Harz zu machen. Und prompt endete auch die mit einem Unfall. Seitdem meidet sie Autos wenn möglich.

Genau wie ihr Freund. Der habe keinen Führerschein, weil er als Teenie so viele Spritztouren gemacht habe. Dabei sei ihm aber nie etwas passiert, so daß er jetzt glaube, sein Glückspotential sei ausgeschöpft. Würde er jetzt mit Führerschein fahren, sei er sich sicher, sofort einen Unfall zu bauen. Tobias Rapp