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Gottes Recht verletzt?

■ Der Rechtsanwalt Saif al-Islam hat den "Abtrünnigen" Abu Said verteidigt. Ein Gespräch über die Konkurrenz ziviler und religiöser Rechtsauffassungen in Ägypten

Saif al-Islam versucht seine politischen Aktivitäten mit seiner Arbeit zu verbinden. Seit vier Jahren praktiziert er als Anwalt in Kairo. Dabei hat er sich auf Fälle spezialisiert, bei denen es um die Meinungsfreiheit geht. Er war Mitglied des Anwaltkomitees, das für die Freigabe des Filmes „Der Emigrant“ von Jussuf Schahin kämpfte. Saif al-Islam war auch einer der Verteidiger im Fall des Kairoer Linguistikprofessors Nasr Hamid Abu Said, der diese Woche per Gerichtsbeschluß aufgrund seiner „unislamischen“ Schriften von seiner muslimischen Frau, der Romanistin Ibtihal Junis, zwangsgeschieden wurde. Der 45jährige hat Politik, Finanzwesen und Jura studiert.

taz: Der Fall Nasr Hamid Abu Said hat erneut die Verwirrung klargemacht, die im ägyptischen Rechtssystem herrscht. In der ersten Instanz wurde der Fall abgelehnt. Der Richter stützte sich dabei auf das Zivilrecht, nach dem die Kläger ein Eigeninteresse an Abu Saids Scheidung vorweisen müssen. In der zweiten Instanz wurde Abu Said dagegen aufgrund eines Rechtsprinzips des islamischen Rechts zwangsgeschieden. Ein Urteil, das jetzt vom Kassationsgericht bestätigt wurde. Ist die Scharia zu einem parallelen Rechtssystem geworden?

Ahmad Saif al-Islam: Die Scharia ist ein integraler Bestandteil des ägyptischen Rechtssystems, ganz besonders in den Ehe- und Scheidungsgesetzen, also im Familienrecht. Die Struktur der Gesetzgebung erlaubt vielfältige Interpretationen. Ein Beispiel: Im Familienrecht heißt es, daß der Richter auf eine der alten islamischen Rechtsschulen zurückgreifen kann, wenn er keine Lösung in den existierenden Paragraphen findet. Das Gesetz legt also alles vollkommen in die Hände der Richter.

Nasr Hamid Abu Saids Fall war ganz auf dem Familienrecht aufgebaut, das in weiten Teilen von der Scharia beherrscht wird. Das Problem liegt auf zwei Ebenen. Erstens ist ein Teil der ägyptischen Zivilgesetze auf der Scharia aufgebaut, und zweitens herrscht in unserer Gesellschaft eine Atmosphäre, die die Anwendung der Scharia selber begünstigt. Das geht sogar so weit, daß einzelne Richter Entscheidungen außerhalb des geltenden Rechts treffen.

Islamistische Anwälte argumentieren, daß die Scharia eine weit prominentere Rolle spielt. Sie zitieren Artikel 2 der ägyptischen Verfassung, in der die Prinzipien der Scharia als die Hauptquelle der Gesetzgebung festgelegt sind.

Dieser Artikel wurde vom vorherigen Präsidenten Anwar al-Sadat eingeführt. Er veränderte den Artikel von „einer der Hauptquellen“ in „die Hauptquelle“. Das war der Preis, den er damals an die Islamisten gezahlt hat, damit sie die Linken an den Universitäten zersetzen. Der Verfassungstext läßt mehrere Interpretationen zu. Er spricht von den „Prinzipien der Scharia“. Was heißt schon „Prinzipien“?

Sie waren einer der Anwälte in Nasr Hamid Abu Saids Fall. Dort wurde das islamische Rechtsprinzip der Hisba angewendet.

Hisba gibt jedem Muslim das Recht, vor Gericht zu ziehen, nicht um seine eigenen Rechte zu verteidigen, sondern um die Rechte Gottes zu schützen. Im Fall Abu Said erhob ein Anwalt eine Scheidungsklage gegen Abu Said und seine Frau Ibtihal Junis. Nach dem Zivilgesetzbuch hat er dazu kein Recht, weil er kein persönliches Interesse an der Scheidung vorweisen kann. Aber von der Scharia und dem Hisba-Prinzip aus gesehen konnte er die Klage erheben auf der Grundlage, daß er Muslim ist und durch Abu Saids Schriften die Rechte Gottes verletzt sieht. Er argumentierte, daß Abu Said durch seine Schriften von der Religion abgerückt ist und darum von seiner muslimischen Frau geschieden werden müsse.

Diesem Prinzpip hat das ägyptische Parlament aber nun doch im Mai für die Zukunft einen Riegel vorgeschoben.

Wir haben jetzt ein neues Gesetz, das die Hisba nicht abschafft, aber neu organisiert. Abu Saids Fall könnte der letzte Fall sein, in dem jemand auf Grundlage der Hisba vor Gericht gebracht wird. Nach dem neuen Gesetz entscheidet die Staatsanwaltschaft – sprich: die Regierung –, ob einzelne Fälle noch von Gerichten angenommen werden dürfen. Wenn die Staatsanwaltschaft, wie zu erwarten, in Zukunft solche Fälle ablehnt, wird es keinen neuen Abu Said geben in Ägypten.

Aber für Abu Said gehen die Probleme weiter.

Abu Said selbst kann wenig tun. Das war die Entscheidung des höchsten zuständigen Gerichts. Der Fall ist erledigt. Seine islamistischen Widersacher werden aber wahrscheinlich erneut vor Gericht ziehen. Etwa mit einer Klage gegen die Kairoer Universität, den Arbeitgeber Abu Saids. Von einem einmal abgestempelten Apostaten müßte sich die Universität trennen. Ähnliches gilt für die Verleger von Abu Saids Schriften. Auf diese Weise können seine Gegner Druck auf den Staat ausüben, Abu Said nach der letzten Gerichtsentscheidung nun tatsächlich wie einen Apostaten zu behandeln.

Die Religion spielt auch in den Gerichten eine wichtige Rolle. Die Richter fragen oft nach der Meinung islamischer Rechtsgelehrter, der Ashar-Universität. Etwa so, wie wenn ein deutsches Gericht einen Soziologen oder Psychologen um ein Gutachten bitten würde.

Neben ihrem wachsenden politischen Einfluß hat die Ashar auch eine festgelegte Rolle im Rechtssystem. Beispielsweise gibt ihr das Publikationsrecht die Autorität, Schriften mit religiösem Inhalt zu kontrollieren. Das ist kein allzu großes Problem. Wenn die Ashar ihre Grenzen überschreitet, dann gibt es rechtliche Möglichkeiten, sie in die Schranken zu weisen. Es ist auch nicht weiter problematisch, wenn ein Richter die Ashar um ihre Meinung fragt.

Das Problem liegt woanders. Normalerweise fragt der Richter einen Spezialisten um seine Meinung, um am Ende unter Berücksichtigung dieser Meinung zu entscheiden. In Ägypten dagegen hat die Meinung der Ashar fast legislative Macht. Das ist die Realität an den Gerichten. Das, zusammen mit der Tatsache, daß einige politische Gruppen mit Hilfe der Ashar ihre politischen Interpretationen vorantreiben wollen, ist eine gefährliche Entwicklung.

So werden die Gerichte immer mehr zum Austragungsort politischer Kämpfe.

Schauen wir uns Abu Saids Fall an. Es gibt keinen Paragraphen im Zivilgesetzbuch, der das Problem der Apostasie, also des Abfalls vom Islam, behandelt. Also starteten seine Gegner eine Scheidungsklage, weil das der einzige Weg war, wie ein Gericht in das Problem der Apostasie involviert werden konnte.

Haben islamistische Anwälte noch andere Möglichkeiten, liberale Intellektuelle mit Hilfe von Gerichten zu terrorisieren?

Im Strafgesetz gibt es einen Passus, nach dem man direkt jemanden vors Strafgericht bringen kann, wenn dieser religiöse Gefühle verletzt. Derzeit haben wir ein Dutzend solcher Fälle mit Schriftstellern und Journalisten vor einem Gericht in der Nildelta- Stadt Mansura. Ein Teil der Fälle wurde der Ashar übergeben, um die Schriften zu beurteilen. Das gibt der Ashar natürlich eine viel größere Rolle, als sie eigentlich rechtlich hat. Am Ende ist das Problem nicht das Gesetz, sondern die politische Atmosphäre. Interview: Karim El-Gawhary

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