piwik no script img

Frösche und Pferde sterben für Studienzwecke

■ Obwohl es alternative Lehrmethoden gibt, werden an den Unis jährlich 78.000 Tiere in Pflichtpraktika getötet. Einige Hochschulen verzichten auf Tierversuche

Stuttgart (taz) – An deutschen Universtitäten werden jährlich 78.000 Tiere für Pflichtpraktika getötet. In einer bisher einmaligen Erhebung hat der Bundesverband Studentischer Arbeitsgruppen gegen Tiermißbrauch im Studium (Satis), Stuttgart, über einen Zeitraum von drei Jahren den Tierverbrauch für obligatorische Veranstaltungen in den Fächern Biologie, Medizin und Tiermedizin erfaßt. Werden die Wahlpraktika mitgerechnet, liege die Zahl der getöteten Tiere sogar deutlich über 100.000, schätzt Satis.

Neben Insekten, Krebsen und Ratten gehören auch Kaninchen, Tauben, Hunde und sogar Pferde zu den Versuchstieren. Als Demonstrationsobjekte in Biologie- und Medizinpraktika sind Frösche besonders beliebt. Tausende werden zur Veranschaulichung von Reflexen verwendet. Den lebenden, nicht betäubten Tieren wird der obere Teil des Kopfes abgeschnitten und das Rückenmark aufgebohrt, um am zentralen Nervensystem die Reizweiterleitung darzustellen. Im sogenannten Froschschenkelversuch wird der Schenkel abgetrennt und Nerven und Muskel freigelegt, um diesen mit Hilfe von Strom zur Kontraktion zu bringen. Nach dem Versuch wandern die „Objekte“ in den Mülleimer – für die nächsten Demonstrationen müssen wieder neue Tiere ihr Leben lassen.

Nach Auffassung von Roman Kolar, wissenschaftlicher Referent für den Bereich Alternativmethoden zu Tierversuchen bei der Münchner Akademie für Tierschutz, könnte „der Tierverbrauch im Grundstudium von heute auf morgen ersatzlos gestrichen werden.“

Eine pädagogisch sehr sinnvolle Alternative seien beispielsweise harmlose Selbstversuche. Muskelreflexe könne jeder Student und jede Studentin am eigenen Knie oder Arm erproben. Mit Hilfe eines sogenannten Myographen lassen sich die erzeugten Reflexe exakt messen und auswerten. Die Erfahrung am eigenen Körper vertiefe außerdem das Lernergebnis, so Kolar.

Neben Filmen und jahrelang verwendbaren Dauerpräparaten setzen TierverbrauchsgegnerInnen verstärkt auf interaktive Computerprogramme. Bei dieser alternativen Lehrmethode werden die von PraktikantInnen am PC durchgeführten Versuche auf dem Bildschirm zeitgleich visualisiert. Die Versuche sind ohne ständig neuen Bedarf an Versuchstieren beliebig wiederholbar. Aufgrund der grafischen Darstellungsmöglichkeiten hätte diese Lehrmethode außerdem eine höhere Aussagekraft und sei auch für das Selbststudium geeignet, so die TierverbrauchsgegnerInnen. Viele HochschullehrerInnen befürchten allerdings, daß die Studierenden zu „Nintendo-Biologen“ ausgebildet werden, die nur noch mit der Maus umzugehen wüßten und sich von der lebenden Materie entfremdeten.

Daß diese Meinung nicht überall geteilt wird, zeigt das Beispiel der Philipps-Universität in Marburg. Dort wird im Fachbereich Medizin ganz auf Tierverbrauch verzichtet. Die zur Verfügung stehenden alternativen Lehrmethoden werden als vollkommen ausreichend bezeichnet.

Die Regel ist das Marburger Modell allerdings nicht. StudentInnen können in ganz Deutschland bisher lediglich an acht Hochschulen Biologie und an vierzehn Medizin ohne Tierverbrauch studieren. Sie werden im Rahmen der Pflichtpraktika somit zum Experimentieren an lebenden oder toten Tieren gezwungen. Die daraus entstandenen Gewissenskonflikte beschäftigten die Gerichte in den vergangenen Jahren in 30 Fällen.

1992 setzte sich eine Medizinstudentin vor dem Verwaltungsgericht in Kassel gegen die Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe- Universität durch. Sie erstritt für sich die Möglichkeit, ein tierverbrauchsfreies Studium zu absolvieren. Für andere StudentInnen hat dieses Urteil allerdings keine Auswirkungen. Das Urteil war nur für die klagende Studentin maßgeblich. Eine einheitliche Rechtsprechung existiert bisher nicht.

Im Vergleich zum gesamten Tierverschleiß in Deutschland nimmt sich die an den Hochschulen ermittelte Zahl freilich noch klein aus. Die letzte veröffentlichte Tierversuchsstatistik der Bundesregierung von 1994 beziffert die Zahl der für industrielle und wissenschaftliche Zwecke getöteten Tiere auf 1,76 Millionen. Tierschutzorganisationen gehen sogar von bis zu zehn Millionen Tieren pro Jahr aus. Michael Obert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen