: Kuriosität ist alles, der Inhalt nichts: Wenn der Bundestag Ferien macht, legen die Hinterbänkler ihre dümmsten Vorschläge vor. Die Wirkung ist zwiespältig: Zwar wird keine Idee umgesetzt, doch das Vertrauen in die Politik sinkt. Aus Bonn Markus Franz
Einmal im Sommer ein Star sein
Beginnen wir mit einer wahren Geschichte. Berlin, Sommer 1989. Eine ältere Frau, vielleicht siebzig Jahre alt, fährt mit ihrem schlichten Fahrrad zu einem Stehcafé am Charlottenburger Schloß. Sie bestellt einen Kaffee, kommt beiläufig mit der Bedienung ins Gespräch. „Haben Sie schon gelesen?“ ereifert sie sich auf einmal so laut, daß es an allen Nachbartischen zu hören ist. „Die wollen jetzt sogar eine Fahrrad-Steuer einführen.“ Sie legt die Zeitung mit den vielen Bildern und den fetten Lettern vor sich hin: „Die machen doch, was sie wollen. Ich geh' nicht mehr wählen“, sagt sie.
Die Geschichte spielt am 28. Juli 1989. Verantwortlich sind der Berliner CDU-Abgeordnete Klaus Finkelnburg, der die Idee einer Fahrradsteuer aufgebracht und die Bild-Zeitung, die sie verbreitet hat. Selbstverständlich wurde der Vorschlag nie umgesetzt, und zumindest die Fahrrad-Revolution im Berliner Sommer 1989 blieb aus. Nur die Radfahrerin geht vielleicht wirklich nicht mehr wählen.
Die Zahl der abstrusen oder je nach Mentalität des Beobachters erheiternden Vorschläge in den parlamentsfreien Wochen ist lang. Ob fünfzig Mark Stillgeld für Mütter (Benno Zierer, brustpolitischer Sprecher der CSU), Wehrpflichtige durch Losentscheid aussuchen (Hans „Tombola“ Raidel, ebenfalls CSU), eine Schokosteuer auf ungesunde Lebensmittel (SPD-Diätexpertin Brigitte Adler), Lügendetektoren in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen (Georg „Prawda“ Brunhuber, CDU) – nichts scheint bestimmten Politikern zu dumm zu sein, um nicht damit Aufmerksamkeit erregen zu wollen. Ein guter Sommerloch- Vorschlag zeichnet sich dabei durch zwei Eigenschaften aus: Er ist erstens simpel und zweitens nicht durchführbar. Musterbeispiel: Der Bild-Aufmacher vom 9. Juli 1993: „Mallorca soll deutsch werden“ – angeblich eine Forderung des CSU-Verkehrsexperten Dionys Jobst, der laut Bild ein 17. Bundesland ausrufen wollte. Jobst stellt die Geschichte allerdings als Mißverständnis dar: Die Bild-Zeitung habe ihn reingelegt (siehe Interview). Der stellvertretende Bild-Chefredakteur, Kai Diekmann, weist diesen Vorwurf zurück, bezeichnet die Mallorca- Story aber dennoch als „rein lustige Lachnummer“. So etwas könne man nur alle zwei Jahre mal machen, weil sonst die Glaubwürdigkeit leide. In der Zeitung stand damals aber ausdrücklich: „Dies ist kein Witz.“
So schnell entsteht die Pizza-Steuer
Erstaunlich nur, daß Jobst sich in diesem Jahr schon wieder von Bild betrogen fühlen mußte. Im Juni war er in Zusammenhang mit einem „Tempo-Limit für Rollerblader“ erwähnt worden. Bild- Mann Kai Diekmann bestreitet denn auch, daß seine Redaktion Politiker reinlegt. „Gerade wir können uns das nicht erlauben.“ Sämtliche Zitate würden den betreffenden Politikern vor der Veröffentlichung vorgelesen. Fraglich ist allerdings, in welchem Zusammenhang sich diese Zitate finden. Denn ein harmloser Satz läßt sich mit etwas Einfallsreichtum so plazieren, daß er grotesk wirkt. So mußte sich der CDU-Abgeordnete Gottfried Haschke die Forderung nach einer Pizza-Steuer zurechnen lassen, obwohl er zum Thema lediglich gesagt hatte: „Wir müssen etwas für die deutsche Küche tun.“
Haschke war entsetzt, dementierte und meidet seitdem den Kontakt zur Bild. Andere haben allerdings weniger Furcht vorm bösen Redakteur – sonst gäbe es weniger Dauergäste im Sommerloch wie Hans Raidel (Schürmannbau sprengen, Wehrpflichtige per Los auswählen etc.), Norbert Geis (Verbot von Madonna-Konzerten wegen der obszönen Auftritte, Ausgehverbot für Jugendliche nach 21 Uhr, um die Jugendkriminalität einzudämmen) oder Wolfgang von Geldern (Sonnencreme auf Krankenschein, fälschungssicheres Einhundertmarkstück und anderes). Deren Rechnung scheint aufzugehen. Selbst wenn ein Vorschlag völlig undurchführbar klingt, werden die Stichwortgeber in ihren Wahlkreisen als Menschen wahrgenommen, die zitiert werden und daher irgendwie wichtig sind. Bild-Mann Kai Diekmann glaubt daher auch: „Viele Politiker gebrauchen die Medien.“ Mancher, der den Gebrauch der Journalisten nicht so perfekt beherrscht, wird sogar ein wenig neidisch: „Wir arbeiten wie wild an konkreten Projekten, aber die Medien ignorieren uns. Statt dessen bringen sie den Herrn von Geldern groß raus, Wie schafft der das bloß?“ fragt ein CDU-Mann leicht verärgert.
Die Antwort ist simpel: Von Geldern hat seine Eingebungen im richtigen Moment. Denn auch in der nachrichtenarmen Zeit müssen Zeitungen verkauft werden. Selbst seriöse Blätter greifen dann mangels aktueller Meldungen jene Themen auf, die sie sonst verschmähen oder nur beiläufig erwähnen würden. Oder wie sonst ist es zu erklären, daß das Thema SPD und PDS vor wenigen Tagen hochkochte, obwohl in keinem Bundesland eine Koalition ansteht? Angelockt durch den publizistischen Erfolg ließ sich dann auch der Parteisprecher der Grünen, Jürgen Trittin, über die noch viel unsinnigere Frage einer Koalition von Bündnis 90/Die Grünen mit der PDS aus.
Daß ein Politiker wie Trittin sich äußert, ist eher die Ausnahme; meist handeln im Sommerloch die Politiker aus der zweiten Reihe. Bei der Bonner CDU kommt ihre Chance, wenn – wie häufig im Sommer – kein führender Politiker greifbar ist. Eine sogenannte Stallwache gibt es nicht, das Machtzentrum Kanzleramt ist schwach besetzt, und endlich dürfen die Konservativen aus den letzten Reihen auch mal in den Medien auftauchen.
Aufpasser und dürftige Arbeit bei der SPD
Die SPD dagegen hat mit Sommerloch-Stars weniger Probleme, was vielleicht daran liegt, daß sich manche wie Gerhard Schröder das ganze Jahr so benehmen, als lebten sie in nachrichtenarmen Zeiten. Mag sein, daß die Bonner Parteispitze aus diesem Grund ständig einen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sowie einen Geschäftsführer zur Stallwache verpflichtet. Deren Job ist es unter anderem, Vorschläge aus den eigenen Reihen zumindest zu entschärfen.
Das heißt freilich nicht, daß die Sozialdemokraten sich in der Ferienzeit besonders um inhaltliche Arbeit bemühen würden. Vor kurzem stellte die SPD-Innenpolitikerin Cornelie Sonntag-Wolgast ein Eckpunktepapier für ein Zuwanderungsgesetz vor, das von vielen Medien als oberflächlich und unausgereift kritisiert wurde. Auf die Frage, warum die SPD nicht direkt einen Gesetzesentwurf präsentiere, wie es die Bündnisgrünen vier Wochen zuvor getan hatten, antwortete Cornelie Sonntag-Wolgast ganz schlicht: „Das macht zuviel Arbeit.“
Politiker wie der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble fürchten durch die Sommergeschichtchen um die Glaubwürdigkeit der Politik. Effekthascherei bringe einen Politiker nicht ins Gespräch, sondern ins Gerede, zitierte ihn Focus. Der Pressesprecher einer Bundestagsfraktion glaubt bereits eine negative Entwicklung festgestellt zu haben. Von Jahr zu Jahr würden weniger Bürger anrufen, um sich über den Wahrheitsgehalt von Sommerlochgeschichten zu informieren, sorgt er sich. Offenbar, so seine Folgerung, „nehmen die Leute die Politiker immer weniger ernst“.
Vielleicht wäre es daher am besten, das Sommerloch ganz dichtzumachen, wie es die frühere CDU-Abgeordnete Leni Fischer schon einmal gefordert hatte. Wann das war? Im Jahr 1985, am 13. Juli, einem heißen Sommertag.
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