■ Die grüne PDS-Debatte ist mehr als bloßes Sommertheater
: Scheinheiliges Unionsgeschrei

Die CDU hat ihre PDS-Debatte – Heiner Geißler sei Dank! – sofort nach der Wende absolviert. Ergebnis: Sie trat ähnlich ungeniert das Erbe „ihrer“ DDR- Blockparteien an wie die FDP. Allein die 1946 zur SED zwangsvereinigte SPD verschrieb sich – neben den Grünen – im Osten kompromißlos dem parteipolitischen Neubeginn. Auch sie hätte auf alte Erbschaften pochen können.

Fast scheint es, als hätte nur Hintze die strategische Bedeutung der PDS-Debatte erkannt, wenn sie mit der Neuauflage der für das Machtsystem Kohl zur erfolgreichen „Rote-Socken-Kampagne“ droht, sollte Oskar Lafontaine Kanzler Kohl 1998 mit Hilfe der „Stacheldrahtpartei“ (CSU-Porzner) ablösen wollen.

Wahltaktisch war und ist es ein genialer Schachzug der Union, via Volksfrontgedröhn die SPD, wann immer es ihr beliebt, zum politischen Keuschheitsgelöbnis herauszupfeifen. Wer kann ein größeres Interesse an einer politisch für unberührbar erklärten PDS haben als die Christdemokraten?

Rechnet man nach der zum demokratischen Nachkriegskonsens hochgedeuteten Unvereinbarkeitsdoktrin die PDS-Stimmen vom rot-grünen Oppositionsticket ab, dann verfügt die Regierungskoalition wohl auch über 1998 hinaus über einen beruhigenden Mandatsvorsprung. Und in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern kann sie mit gerade 37 Prozent Wählerstimmen Anspruch auf den Posten des Ministerpräsidenten erheben, obgleich über 58 Prozent der Stimmen auf das oppositionelle Lager entfielen. In dieser Konstellation gerät Rot-Grün auf ewig in die Falle einer strukturellen Minderheitenposition.

Umorientierung tut not! Wenn SPD und Grüne sich in die Treuepflicht der unionsgestrickten political correctness einer PDS-Apartheid nehmen lassen, verspielen sie ihre langfristige Politikfähigkeit. Deshalb ist die PDS-Debatte weit im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl so wichtig. Gelassenheit ist nicht minder tugendhaft. Wenn nicht alles trügt, ist die PDS dabei, in der politischen Verantwortung ihre demokratischen Lektionen zu erlernen. Stark macht sie ohnehin nicht so sehr der selbstquälerische Disput bei SPD und Grünen, sondern die Defizite des Einigungsprozesses und das scheinheilige Geschrei der Union. Bernd Guggenberger

Politikwissenschaftler an der FU Berlin