■ Zum Parteitag der US-Republikaner in San Diego: Nur ein hohles Toleranzritual
Es war ein beeindruckender Probelauf für das Jahr 2000, den Colin Powell mit seinem Auftritt auf dem Parteitag der Republikaner im kalifornischen San Diego geliefert hat. Seine politischen Positionen ergäben die perfekte Mischung für die Wählermehrheit. Nur: Dieses Jahr wollte er noch nicht in den Wahlkampfzirkus – deshalb ist Bob Dole Präsidentschaftskandidat geworden. Powell am nächsten kommt Jack Kemp. Dessen Einfluß als Vizekandidat auf den Wahlausgang dürfte allerdings begrenzt sein. Wäre er der Spitzenkandidat, stünden Clintons Wiederwahlchancen weitaus schlechter. Denn Kemp repräsentiert eine Strömung, die inmitten der Krise des Zweiparteiensystems der „Grand Old Party“ ein neues Image und neue Zielgruppen verschaffen könnte: Die Reaganomics kombiniert er mit Forderungen sowohl nach staatlichen Maßnahmen gegen Armut und Diskriminierung als auch nach einem Konservatismus, der ihn als strikten Abtreibungsgegner ausweist. Über die Tauglichkeit dieser Visionen gehen die Meinungen auseinander. Unbestritten ist, daß Politiker wie Kemp oder Powell ihre Partei für immer mehr Schwarze und Einwanderer wählbar machen könnten – zumal deren Basis in den letzten Jahren weitaus konservativer geworden ist, als es politische Führer vom Schlage eines Jesse Jackson vermuten lassen.
Unstrittig ist indes auch, daß die Partei derzeit von einer – nach „republikanischen“ Maßstäben – Koalition aus christlichen Fundamentalisten, Xenophoben, Antietatisten sowie reichen Südstaatlern gefesselt wird. Um dieses Bündnis zu sprengen, fehlen den Moderaten bislang Courage und Organisationsvermögen. Colin Powells Auftritt kommt somit einem hohlen Toleranzritual gleich. Clinton und sein Vize Gore können weiterhin behaupten, die wahren moderaten Konservativen zu sein. Andrea Böhm
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