Die Wahlen legitimieren nur die Teilung Bosniens

■ Gewalttätigkeiten und Manipulationen beeinträchtigen die Bosnien-Wahlen. In Genf trifft der US-Außenminister deshalb heute erneut die Dayton-Unterzeichner

Split (taz) – Die Wahlen in Bosnien-Herzegowina sind das „Herzstück des Dayton-Abkommens“, sagte US-Außenminister Warren Christopher gestern zu Beginn seiner Europareise. Und deshalb werden die Präsidenten von Jugoslawien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina auf dem heutigen Gipfel in Genf von Christopher noch einmal darauf eingeschworen werden, faire und freie Wahlen zu garantieren. Doch selbst der US-Amerikaner mußte einräumen, daß die Wahlen nicht „optimal“ verlaufen können. Manipulationen der Wählerlisten, Schikanen, Erpressungen und handgreifliche Auseinandersetzungen sind in diesem Wahlkampf alltägliche Praxis.

Ursprünglich war bei den Verhandlungen in Dayton gefordert worden, alle rund drei Millionen Wahlberechtigten an ihren Heimatorten zu registrieren. Damit hätten die Resultate der „ethnischen Säuberungen“ rückgängig gemacht werden können. Die gewählten Körperschaften der Gemeinden hätten nach diesem Modell mit der Teilnahme der Vertriebenen auch die Interessen der Vertriebenen zu berücksichtigen, war der Hintergedanke.

Vor allem von der serbischen Seite aus wurde damals in Dayton vehement gefordert, Ausnahmen zu gestatten. So sollten Vertriebene und Flüchtlinge an ihren neuen Aufenthaltsorten wahlberechtigt sein. Um das gesamte Vertragswerk nicht zu gefährden, wurde dieser Passus schließlich in das Abkommen aufgenommen.

Was zunächst vernünftig klang, erweist sich heute als Hindernis für den Wahlprozeß. 222.000 Serben haben nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die für die Organisation der Wahlen zuständig ist, von der Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht. Manchmal nicht ganz freiwillig. Örtliche serbische Behörden drohten damit, jene Wähler von der humanitären Hilfe auszuschließen, die sich nicht an ihren neuen Wohnorten registrieren lassen wollten. Dahinter steht die Strategie, serbische Mehrheiten in wichtigen Städten zu erreichen, die vor dem Krieg über kroatische oder muslimische Mehrheiten verfügten: So in Srebrenica in Ost-Bosnien und in Brčko am Posavina- Korridor, wo viele serbische Flüchtlinge aus der Umgebung Sarajevos angesiedelt worden sind.

Daß mit der Registrierung der Wähler Politik gemacht wird, beklagt auch Haris Silajdžić. Der bosnische Expremier droht sogar, seine Partei werde die Wahlen boykottieren. Silajdžić' Partei für Bosnien-Herzegowina steht nach wie vor für ein vereintes und multinationales Bosnien. Sie befürchtet, daß der Wahlprozeß zur endgültigen Teilung des Landes führt. Diese Befürchtung teilt auch der oberste Wahlbeobachter Ed van Thinj. Der Wahlprozeß führe eher zur Desintegration denn zur Reintegration des Landes, erklärte er.

Der Wahlkampf läuft auf vollen Touren. Immer noch wirbt die Serbenpartei (SDS) mit ihrem zurückgetretenen Führer Radovan Karadžić, obwohl ihr das verboten ist. In der zentralbosnischen Stadt Doboj waren am Sonntag jedenfalls Wahlplakate mit dem Konterfei des mutmaßlichen Kriegsverbrechers zu sehen. Die OSZE könnte zwar die SDS in diesem Fall von den Wahlen ausschließen. Sie befürchtet jedoch in einem solchen Fall einen Wahlboykott der serbischen Seite. Die Befürchtung scheint so gewichtig zu sein, daß auch über andere Unzulänglichkeiten des Wahlprozesses großzügig hinweggesehen wird: Weder sind die Pressefreiheit noch die Chancengleichheit für die Oppositionsparteien in der serbisch- bosnischen Republik garantiert.

Dies gilt parallel auch in den kroatisch kontrollierten Gebieten, der sogenannten Republik Herceg-Bosna. Hier hat die kroatische Nationalpartei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) das unumschränkte Sagen. Sie kontrolliert die Regierung von Herceg-Bosna, stellt die Minister in der muslimisch-kroatischen Föderation, die Bürgermeister der Gemeinden, die Polizei und last not least die Armee. Radio Mostar und das Fernsehen Herceg-Bosna sind auf Linie gebracht.

In den muslimisch dominierten Gebieten, wo Presse und Parteien noch relativ frei agieren können, kommt es zunehmend zu Zwischenfällen: Schlägertrupps der muslimischen Nationalpartei SDA versuchten am Wochenende in der Region Tuzla, in den Städten Gradacac und Kalesija, Wahlveranstaltungen des Oppositionsbündnisses Großbosnische Gemeinsame Liste zu stören. Gerade weil dieses Bündnis in der Stadt Tuzla über eine komfortable Mehrheit verfügt, will die Izetbegović-Partei Wahlerfolge der Opposition auf dem flachen Land verhindern. Schon Anfang Juli wurde Haris Silajdžić in Casin bei Bihać krankenhausreif geschlagen. Allen drei Nationalparteien kommt es im Wahlprozeß gelegen, wenn die interethnischen Spannungen wieder steigen. Es erhöht ihre Chancen auf einen Wahlerfolg, an dem es unter den gegenwärtigen Umständen kaum begründete Zweifel gibt. Erich Rathfelder