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Unter Beschuß

In Hessen sieht die CDU Mißbrauch des Bildungsurlaubs. Schützenhilfe von den Arbeitgebern  ■ Von Elisabeth Ehrhorn

Das gesetzlich verbriefte Recht der hessischen ArbeitnehmerInnen auf fünf Tage bezahlten Bildungsurlaub im Jahr steht unter Druck. Die hessische CDU, gestützt von Arbeitgeberseite, hat zum Angriff auf den Bildungsurlaub geblasen.

Schützenhilfe, wenn auch unfreiwillige, erhielt die CDU ausgerechnet aus den Reihen der Bildungsurlaubsveranstalter, war doch just zum rechten Zeitpunkt ein Mißbrauch ans Licht gekommen: Statt nämlich die „politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Probleme der Region“ – in diesem Falle der Provence – zu erkunden, wie es der Veranstalter gegenüber dem Sozialministerium angekündigt hatte, entpuppte sich der Bildungsurlaub als ein touristisches Vergnügen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Franz Josef Jung, warf Hessens Sozialministerin Barbara Stolterfoht daraufhin vor, sie baue dem Mißbrauch nicht vor, habe ihre Behörde nicht im Griff und die Öffentlichkeit absichtlich getäuscht. Bei Arbeitnehmern, die in dieser Zeit die Arbeit der Bildungsurlauber miterledigen müßten, gebe es für derartige Freizeitvergnügen kein Verständnis, meinte Jung.

Tatsächlich hat die Kampagne gegen den Bildungsurlaub bereits Früchte getragen. Besuchten 1992 noch über 28.000 Menschen einen Bildungsurlaub, waren es zwei Jahre später nur noch gut 23.000 – insgesamt nur etwa 1,1 Prozent der ArbeitnehmerInnen. Verantwortlich für diesen Schwund war auch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahre 1993, wonach ein vom Ministerium anerkanntes Seminar nicht mehr automatisch den gesetzlichen Anforderungen genügt.

Seither nutzen die Arbeitgeber dieses Urteil vermehrt dazu, einen Bildungsurlaub eigenmächtig abzulehnen. Der dehnbare Begriff der „politischen Bildung“ dient ihnen dabei als Hebel. Anders als in anderen Bundesländern schränkt das hessische Gesetz den Inhalt nämlich auf politische Bildung und berufliche Weiterbildung ein. Während Arbeitgeber berufliche Weiterbildung – z.B. EDV- oder Sprachkurse – im Bildungsurlaub akzeptieren, lehnen sie den „politischen“ Bildungsurlaub immer häufiger ab. Schließlich soll er ArbeitnehmerInnen in die Lage versetzen, „den eigenen Standort in Betrieb und Gesellschaft sowie gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen“. Will ein Arbeitnehmer trotz Ablehnung des Arbeitgebers am Bildungsurlaub teilnehmen, muß er vor Gericht ziehen.

Das trauen sich die wenigsten. Denn in den Betrieben herrscht – besonders in Krisenzeiten wie diesen, wo jeder Angst um den Arbeitsplatz hat – vielfach Angst, den Anspruch auf Bildungsurlaub anzumelden, geschweige denn durchzusetzen, wie es im Erfahrungsbericht 1993/94 zum hessischen Bildungsurlaubsgesetz heißt. Die hessische Sozialministerin spricht von einer „Entmutigungsstrategie“ der Arbeitgeber.

„In keinem anderen Bundesland“, wehren sich die Veranstalter von Bildungsurlaub gegen die Mißbrauchsvorwürfe, „werden die Inhalte von Bildungsurlauben schärfer geprüft als in Hessen.“ Zwar wollen auch sie den „schwarzen Schafen“ an den Kragen, aber die „rote Karte“ für Anbieter von Bildungsurlauben bekommt vorerst niemand. Walter Lochmann vom Bildungswerk der DAG: „Bei ein oder zwei Fällen von jährlich gut 2.000 Veranstaltungen wäre das auch nicht verhältnismäßig.“ Genausowenig schlüssig sei übrigens das Kostenargument der Arbeitgeber: Gemessen am Gesamtaufwand für Personalkosten, schlage der Bildungsurlaub bei hessischen Arbeitgebern gerade einmal mit 0,016 Prozent zu Buche.

„Bildung und Weiterbildung“, so Lochmann weiter, „sind in der heutigen Gesellschaft unverzichtbar. Bildungsausgaben sind Investitionen in die Zukunft.“ Die wenigen, die überhaupt bereit sind, sich weiterzubilden, sollten darum eher ermutigt als entmutigt werden“, meint Dorothea Stöcker vom Hessischen Jugendring (hjr). Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht schon 1987 auf die Notwendigkeit des „lebenslangen Lernens“ hingewiesen und die Verantwortung der Arbeitgeber betont, ihren Teil zum Allgemeinwohl zu leisten und demokratische Strukturen zu stärken.

Die Veranstalter von Bildungsurlaub sehen in der Kampagne mehr als nur einen Angriff auf den Bildungsurlaub. Hier zeige sich, so Joachim Eckert, Landesjugendleiter der DAG, daß die Arbeitgeber nicht bereit seien, ihren Beitrag zum Allgemeinwohl zu leisten. „Das Ganze ist ein Scheingefecht und Teil einer großen Strategie der Arbeitgeber. Der Bildungsurlaub hat für sie symbolischen Wert. Er steht für die vermeintlichen Auswüchse des Sozialstaates, die sie nicht mehr mittragen wollen.“

Hessens Regierung arbeitet unterdesen an der Novellierung des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes. Der Entwurf zielt vor allem darauf ab, die Rechte der Beschäftigten zu stärken, um damit die Teilnehmerquote zu erhöhen und Mißbrauch beim Bildungsurlaub zu verhindern. Er soll im Herbst vorgelegt werden.

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