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Weiter so, Vera Lengsfeld!

■ betr.: „Aufruf zum Boykott der taz“, taz vom 15.8. 96

Wir helfen mit taz-Abo

Der Boykottaufruf gegen die taz, den Vera Lengsfeld wegen eines Krimis der stadtbekannten Verbalbösewichte Droste und Henschel initiiert hat, ist unseres Erachtens nur ein halbherziger Schritt für eine saubere Medienlandschaft. Wir unterstützen nachdrücklich das Anliegen der Abgeordneten und machen weitere konstruktive Vorschläge für politische Initiativen in diese Richtung. Ihrem derzeitigen Betätigungs(?)feld gemäß sollte Frau Lengsfeld jetzt rasche parlamentarische Schritte einleiten, um jegliche Satire gegen „Andersdenkende“ künftig auszuschließen. (In diesem Zusammenhang begrüßen wir ausdrücklich, daß es Frau Lengsfeld gelungen ist, den Begriff „Andersdenkende“, von dem schlichte Gemüter meinen könnten, er habe nur in totalitären Staaten eine Berechtigung, in die Demokratie herüberzuretten.)

Folgende Gesetzesinitiativen schlagen wir als Sofortmaßnahmen vor:

– Kriminalromane, in denen gemordet wird (literarische Anleitung zum Mord) werden verboten, da die Opfer immer zu einer Gruppe gehören, deren Ermordung nicht political correct ist. (Und außerdem ist Mord verboten).

– Sofortiges Aufführungsverbot für Stücke des berüchtigten Mordphantasten William Shakespeare.

– Kritik an oder gar Satire über ehemalige DDR-BürgerrechtlerInnen fällt ab sofort unter den Blasphemievorwurf des Strafgesetzbuches.

– Änderung des Grundgesetzes: Eine Zensur findet nicht statt, außer die Abgeordnete Lengsfeld fordert diese.

Da wir nicht davon ausgehen, daß der Boykott-Aufruf „die tageszeitung“ zur eigentlich schon längst fälligen Einsicht bringt, und wir eine weitere strenge Beobachtung dieses Organs durch Frau Lengsfeld für unerläßlich halten, spendieren wir ihr heute für ein halbes Jahr ein taz-Abo.

Wenn der Zensor grollt, wird die taz gerollt!

Ich habe neun Jahre lang eine Satire-Schülerzeitung herausgegeben. Als ich jetzt Frau Lengsfelds Aufruf zum Boykott gelesen habe, stand eines fest für mich: Ich abonniere die taz. In diesem Sinne: Haare ab, Vera! Alexander Dippel

Liebe taz-ler! Hiermit kündige ich mein Abo NICHT! Zahle weiterhin den politischen Preis! Und bleibe mit Überzeugung Genossenschaftler! Wolfgang Buch

P.S.: Anbei die Kopie meines Briefes an Vera Lengsfeld zur Kenntnisnahme

Ich war völlig verdattert. Wird jetzt der Abbau der Meinungsfreiheit schon aus der Bundestagsfraktion betrieben, der ich bisher immer meine Stimme gegeben habe? Und das ausgerechnet im Zusammenhang mit Angehörigen der DDR-Bürgerrechtsbewegung, deren couragiertes Eintreten für dasselbe Menschenrecht ich bisher immer bewundert habe? Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Und erst bei diesem Gedanken fiel bei mir der Groschen: Natürlich kann das nicht wahr sein! Weil es ein Scherz ist, und zwar ein wirklich grandioser. Da ist Ihnen, verehrte Frau Lengsfeld, tatsächlich eine satirische Meisterleistung geglückt. Wahrscheinlich fing alles damit an, daß auch Sie sich über die Art geärgert haben, mit der in unserem Land in letzter Zeit mit der Meinungsfreiheit umgesprungen wird. Außerdem ist Ihnen die eigenartige Angewohnheit einiger HinterbänklerInnen des Deutschen Bundestags aufgefallen, während der Sommerpause mit z.T. höchst obskuren Wortmeldungen auf sich aufmerksam machen zu wollen. Flugs haben Sie also Ihre spitzeste Feder gezückt, den bei den Humorlosen unserer Nation sonst üblichen Vorwurf der Ehrabschneidung gnadenlos zum Faschismusvorwurf übersteigert, die gängigen astronomischen Schmerzensgeldforderungen mit einem kleinen Seitenhieb auf die schon beim geringsten Anlaß von taz-AbonnentInnen vorgebrachten kindischen Kündigungsdrohungen zum Abo-Boykottaufruf zugespitzt, und fertig war Ihr kleines Pamphlet, und es ist eingeschlagen wie eine Bombe! Am besten aber gefällt mir der Trick, mit dem Sie verhindert haben, daß Ihr Aufruf in all seiner erhabenen Absurdität sofort als Scherz aufflog, damit hätten Sie auch mich um ein Haar erwischt! Da haben Sie doch, sozusagen als trojanisches Pferd, das offenbar auch bei aufgeklärt- intellektuellen Wessis anzutreffende Vorurteil vom wehleidigen Ossi ausgenutzt und Ihr Schreiben im Namen ostdeutscher BürgerrechtlerInnen abgefaßt, ich gratuliere! Genau so muß Satire funktionieren: Einfach, aber effektiv, witzig und boshaft den Finger auf die Wunde legen, genau dahin, wo es weh tut, gnadenlos der blasierten Bagage den Spiegel ins Gesicht knallen, tabulos Mißstände benennen. Souverän haben Sie die mittlerweile allzu routinierten Berufs- Miesmacher Droste und Henschel in ihre Schranken verwiesen und sich selbst als Realsatirikerin in bester Tradition der Neuen Frankfurter Schule erwiesen. Unser Bundestag bräuchte mehr Spaßvögel Ihres Formats, machen Sie weiter so! Mit mitwisserischem Augenzwinkern Ihr Michael Wolf

Was soll man dazu sagen? Daß sich Frau Lengsfeld und Herr Weiß als Mitglieder des Deutschen Bundestages um reale Probleme kümmern sollten? Sozialabbau, Militarisierung der Außenpolitik, zunehmende Umweltverschmutzung, Atompolitik ... Statt dessen sitzen die beiden in ihren Bürostühlen und nehmen übel. Der Roman von Droste und Henschel muß ihnen ja auch nicht gefallen. Aber deshalb gleich abstruse Faschismustheorien konstruieren und die dann auch noch öffentlich zu machen, ist ein starkes Stück. Endlich wächst zusammen, was zusammengehört. Besser hätte das CSU-Generalsekretär Protzner auch nicht formulieren können. Ist das bürgerbewegte Pressepolitik, die taz wegen gerade mal einer Viertelseite, die einem persönlich nicht behagt, vom Markt fegen zu wollen? Frau Lengsfeld sollte statt über Boykottaufrufe über die Folgen ihres Tuns nachdenken. Ohne taz fehlt in der Presselandschaft das Gegengewicht zu den Medienkonzernen und den lokalen Monopolzeitungen. Gert Blumenstock

Laßt Euch ja nicht von solch einem politisch-dummen-moralinsaurem-beleidigtem-Leberwurst- Boykottaufruf dazu verleiten, den „Barbier von Bebra“ einzustellen!

Über „Literatur“ und „Satire“ mag man unterschiedlicher Meinung sein: „Der Barbier von Bebra“ ist oft genial, manchmal saudoof und banal – aber das erste, was ich am Morgen seit zehn Tagen lese. Ein Land, das Dichter und Denker wie Droste und Henschel hat, kann so ganz schlecht nicht sein! Herzlichen Gruß Friedemann Kather, Pfarrer

Alle halbwegs smarten taz-LeserInnen werden wissen, wie dieser literarische Tiefflug zu verstehen ist, und selbst die geistig Verwirrten werden sich durch das wirre Zeug nicht zu irgendwelchen Gewaltakten anstacheln lassen. Es wird bestimmt niemand behaupten wollen, daß diese Geschichte von den zwei Blödelköpfen Droste/ Henschel irgendwo auch nur einen Hauch von Geschmack hat, soll das ja gerade der Witz an der Sache sein. [...] Mir ist es peinlich, daß zwei Vertreter der Partei, die unter anderem ich in den Bundestag gewählt habe, sich auf solche Lausbubengeschichten dermaßen humorlos und pedantisch als Gegner der Pressefreiheit outen. Als Angriff auf die Pressefreiheit muß der Aufruf verstanden werden und entsprechend verurteilt werden. Das ist der eigentliche Skandal an Ihrer Entrüstung. Nicht die Erinnerung, daß manche Witze einfach geschmacklos sind, sondern der gerade jetzt lebensgefährliche Angriff auf die taz ist eine Entgleisung, die ich von keinem/r vom Volk berufenen ParlamentarierIn einfach hinnehmen kann – und schon gar nicht, wenn es aus der Partei heraus geschieht, die ich mich immer noch zu wählen genötigt sehe. Jochen Kilian

Liebe Parteifreundin,

[...] was immer Dich zu diesem Boykottaufruf gebracht hat: Weshalb konntest Du für diesen Brief (taz, 15.8., S. 3) nicht Dein privates Briefpapier benutzen? Ich denke Du machst hier in unerlaubter Weise von Deiner politischen Funktion Gebrauch. Möchtest Du wirklich in einem Staat leben, in dem jeder dahergerannt kommen kann und für dieses oder jenes eine Zensur zu verlangen. Denn wo das endet wissen wir doch eigentlich alle. Nach alldem glaube ich, ich bin in der falschen Partei, oder Du.

In der Hoffnung, daß der einleitende Satz wahr ist, Lukas Kliem

Wiglaf soll weiterschreiben! Und die taz soll's drucken, auch wenn der Roman nun wirklich nicht sein bestes Stück geworden ist. Aber von diesen Betroffenheitsweltmeistern lassen wir uns, bitteschön, nichts vorschreiben. Denn wer derart schnell die Faschismuskeule zückt, hat jede Fähigkeit zur kritischen Selbstwahrnehmung verloren, benimmt sich wie ein x-beliebiger Fundamentalist oder Nationalist oder Chauvinist. Wer Kritik verträgt, braucht nicht ständig auf seine Würde und Ehre zu pochen. Markus Kempen

Frau Abgeordnete, es entzieht sich meiner Kenntnis, daß ich Sie als Bürger der Bundesrepublik Deutschland dazu aufgefordert habe, sich im Namen des Deutschen Bundestages um die Verleumdung oder anders, zur potentiellen Vernichtung der taz gebeten habe. Diese Handlung und Kompetenzüberschreitung Ihrerseits bestätigt mich mal wieder, Ihre Partei zu boykottieren. Und sogar innerhalb meiner Partei (SPD) dafür zu sorgen, daß keine und sei sie noch so klein, keine Koalition mit Ihrer Partei in Frage kommt. Was innerhalb meines Bereichs (altes Bundesland) sehr ber??? wird. Sondern eher daran gedacht wird mit der PDS sich zu arrangieren, weil viele der Themen, die die PDS aufgreift, auch Sozialdemokratie ausmacht, aber die Politik von Bündnis 90/Die Grünen immer mehr zu einer „na, wollen wir mal sehen, wer gewinnt“-Politik wird und sehr konservativ rechts nach meiner Beurteilung ist. Thorsten Garbe

P.S.: Ich schreibe ausdrücklich als Privatperson. Ich erwarte Ihre Stellungnahme zu dieser Mail.

Liebe Grüne, durch die unsäglichen Faschismus-Vorwürfe von Frau Lengsfeld gegenüber der taz vom 15.8. möchte ich Euch bitten, die Verhöhnung der Opfer des Faschismus durch sie scharf zu verurteilen. Ggf. ist Frau Lengsfeld aus der Partei wegen reaktionärer Äußerungen auszuschließen. Entsetzt darüber, was inzwischen aus Euren Reihen zu hören ist, Andreas Moldt

[...] Ob der „Barbier von Bebra“ nun unter Satire fallen mag oder sich ausschließlich durch sein Hinwegsetzen über sämtliche Grenzen des sogenannten guten Geschmacks (und damit auch Niveau) auszeichnet, mag dahingestellt bleiben, daraus im wahrsten Sinne des Wortes eine Staatsangelegenheit zu machen ist mehr als peinlich. Zum Faschismusvorwurf bleibt soviel zu sagen: Interessanterweise erschloß sich mir Vera Lengsfelds Brief beim erstmaligen Lesen als genau das, was sie dem „Barbier von Bebra“ abspricht zu sein: Satire. Petra Butz

Ich habe mich köstlich über den „Barbier von Bebra“ amüsiert. Schade daß Joschka keinen so stattlichen Bart wie die bisherigen „Romanhelden“ vorweisen kann, sonst würde Vera Lengsfeld das Sommerloch sicherlich gelassener ertragen, dessen bin ich sicher. Gerd Morber

[...] Betrübt muß ich aber feststellen, daß die von mir bei zahlreichen Besuchen der DDR und vielen Kontakten zwischen 1974 und 1989 so bewunderten Eigenschaften wie Ironie, Selbstironie, Witz, bei den Aufräumarbeiten nach dem Fall der Mauer offensichtlich ebenfalls abgetragen wurden.

Daß ausgerechnet die Bündnisgrünen zum Boykott der taz aufrufen, stimmt bedenklich, zeigt es doch eine Geisteshaltung, die man eigentlich in anderen Lagern vermutet. Nicht, daß Herr Lummer demnächst die Abo-Aktion unterstützt! Ich hoffe, die taz macht weiter wie bisher. Als Neuabonnent und nach 25 Jahren Rheinische Post-Leserin bin ich täglich aufs neue überrascht, daß Zeitunglesen nicht nur informieren, sondern auch Spaß machen kann. Sigrid Blümel

Nicht, daß die taz in irgendeiner Form sakrosankt wäre, im Gegenteil, fast jeden Tag fragt sich der brave Abonnent, warum er sich eigentlich diese teure Mischung aus Lehrerzeitung und sozialdemokratischen Ortsverbandsblättchen noch antun soll. Dennoch, hin und wieder erscheinen in der taz ein paar Perlen, die nicht zu versäumen, ich gerne bereit bin, viel Geld zu bezahlen – Perlen, wie der o.g. Roman. Über die perfiden Vergleiche, die Sie in Ihrer Argumentation verwenden, will ich gar nichts sagen, vermutlich sehen Sie sich bereits nach der Lektüre der ersten Teile dieses Romans inzwischen selbst als Verfolgte der Nazi- Regimes, ideell zumindest. Vielleicht sind Sie aber in der Lage, für eine winzige Sekunde die Anweisung eines Ihrer Wähler (Wir sind das Volk, Sie wissen schon) zur Kennntis zu nehmen: Weder Sie persönlich noch die Partei, der Sie angehören, werden zukünftig jemals wieder meine Stimme erhalten. Andernfalls will ich die nikotingelben Füße von Jürgen Fuchs waschen und mit dem Bart von Wolfgang Thierse abtrocknen. Georg Linke, Ex-Wähler

Sehr geehrte Frau Lensgfeld! Ich dachte ich lese nicht richtig, als ich heute früh die taz aufschlug. Ich habe freilich damit gerechnet, daß Herr Droste ins Fettnäpfchen treten wird, aber ich hätte nicht damit gerechnet, daß ein so haltloser Kommentar aus Ihren Reihen kommt. Ich habe eine riesige Hochachtung vor allen Menschen der DDR, die sich gegen dieses System gestellt haben. Ich bin brav meine drei Jahre zur NVA gegangen, nur damit ich 1989 ein Pharmaziestudium beginnen konnte. Sicher, ich habe erst während meiner Armeezeit begonnen, mich für Politik zu interessieren, aber ich mache mir doch oft Vorwürfe und schaue begeistert zu den Leuten auf, die VOR dem 9. Oktober (da war ich das erstemal in Leipzig zur Demo) etwas getan haben.

Sie rufen zum Boykott der einzigen Tageszeitung auf, die auf außergewöhnliche Weise sich mit der täglichen Innen- und Außenpolitik auseinandersetzt. Aber ich denke, das wissen Sie alles. Wenn Ihnen nicht paßt, was der eine oder andere Journalist „verzapft“, dann setzen Sie sich mit ihm persönlich auseinander, oder haben Sie nicht die Courage dazu? Thomas Hecker

Der Lengsfeld-Weiss'sche Boykottaufruf und Erpressungsversuch, er würde so gut in den „Barbier von Bebra“ hineinpassen, wäre er denn nicht tatsächlich so bitterböse und ernst gemeint. Olaf Rottach

Liebe Vera, ich möchte mich bei Dir ganz herzlich bedanken, für Dein raffiniertes Eingreifen und Dein beherztes Engagement, die taz zu retten. Zuerst zeigst Du, daß die Grünen mittlerweile gelernt haben, auf der Klaviatur der Medien gekonnt zu spielen. Die Überschrift „Die taz braucht neue Abonnenten!“ oder „Die taz steht vor der Pleite!“ sind auch im Sommerloch keine Meldung mehr wert. Einem Medien-Profi wie Dir ist das längst klar. Du lancierst also die Meldung „Mann beißt Hund!“ In diesem Fall also: „Grüne für einen Boykott der taz!“

Beim Schreiben wird mir noch folgendes klar: zur taz besteht keine Alternative; die Grünen sind raffinierte und humorvolle Medien- Füchse, und die Grünen tun alles, um die taz zu retten. Mit 90 grünen Grüßen Jörg Baran

Sehr geehrte Frau Lengsfeld,

[...] In einem historischen Rundumschlag von wahrhaft hanebüchenem Ausmaß vergleichen Sie Rassenwahn und Euthanasie der Nazis mit dem bezeichneten Text. Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Merken Sie nicht, wie sehr Sie damit die wirklichen Opfer jener Diktaturen herabwürdigen? Ihre kleinkarierte, aufgeplusterte Moral stellt solche Verbrechen in eine Reihe mit einem politsatirischen Text?!

Schließlich bezeichnen Sie ganz en passant Wiglaf Droste und Gerhard Henschel als „Geistesstützen deutscher Diktaturen“. Man kann sich nur wünschen, daß sich diese Autoren gegen solche Verleumdungen gerichtlich zur Wehr setzen; ganz chancenlos schiene mir ein solches Unterfangen nicht. Ronald Freytag

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