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Kein Platz für Klassenkampfparolen

■ Hart gerungen wird zwischen den Gewerkschaften um das neue Grundsatzprogramm des DGB. Anbiedernd oder kämpferisch? Wie werden die Gewerkschaften den künftigen Herausforderungen gegenüber gewappnet sein?

Kein Platz für Klassenkampfparolen

In der Düsseldorfer Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) fehlt immer noch der vollständige Überblick. Die genaue Sichtung der Flut von Änderungsanträgen aus den Einzelgewerkschaften wird noch ein paar Tage dauern, bis endgültig klar ist, wer wie was am neuen, 34 Seiten umfassenden DGB-Programmentwurf geändert sehen möchte. 96 kritische Seiten schickte allein der Hauptvorstand der IG Medien, 56 Seiten kamen vom IG-Metall-Vorstand. Die Antragskommission muß den Papierberg jetzt bis zum außerordentlichen DGB- Bundeskongreß im November in Dresden erst einmal beschlußreif aufbereiten.

Ginge es nach dem Willen der IG Medien, dann beschlössen die Delegierten in Dresden überhaupt kein Programm. Die zum linken Flügel des DGB zählende Gewerkschaft möchte die Beschlußfassung vertagen, weil der Entwurf den „neuartigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Herausforderungen nicht gerecht“ werde. Tatsächlich stünden die Gewerkschaften „erst am Anfang der Debatte“.

Auch wenn die kleineren Gewerkschaften Holz und Kunststoff (HUK), Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Postgewerkschaft (DPG) das ähnlich sehen, ist der Beschluß gleichwohl nicht aufzuhalten. Denn viele in den gewerkschaftlichen Führungsetagen, so räumt GEW-Chef Dieter Wunder ein, „fürchten für den Fall, daß der zeitliche Zwang zur Einigung jetzt wegfällt, eine neue Polarisierung innerhalb des DGB“. Außerdem ist vor allem der Vorstand der mächtigen IG Metall für eine Verabschiedung: „Wir sind der Überzeugung“, so schrieb IG-Metall-Chef Klaus Zwickel in einem Begleitbrief zu dem dicken Änderungspaket seiner Organisation, „daß die IG Metall mit diesen Änderungen den ursprünglichen Entwurf in wichtigen Bereichen verbessert und präzisiert hat und daß die politische Gewichtung dieser Änderungsanträge auch den Kritikern entgegenkommt, die bisher glaubten, diesem Entwurf nicht zustimmen zu können“.

Die Chancen auf Vertagung liegen deshalb bei nahe Null. Das weiß auch die IG Medien. Prophylaktisch reichte sie deshalb schon mal 81 Änderungsanträge ein – in Abstimmung mit den Gewerkschaften HBV, GHK und DPG. Darin geht es darum, das Profil der Gewerkschaft als organisierte Gegenmacht der Lohnabhängigen zu schärfen. Kämen die Änderungsanträge durch, dann bliebe von der im Programmentwurf gepflegten Betonung konsensualer Gewerkschaftsstrategien und dem uneingeschränkten Bekenntnis zur sozialen Martkwirtschaft heutiger Prägung nicht mehr viel übrig. So möchten IG Metall, IG Medien und auch die ÖTV unisono den umstrittenen Satz, daß die „soziale Marktwirtschaft besser als andere Wirtschaftsordnungen geeignet ist, die Ziele der Gewerkschaften zu erreichen“, aus dem Text verbannen. Bei der IG Metall klingt das dann so: „Die sozialregulierte Marktwirtschaft bedeutet gegenüber einem ungebändigten Kapitalismus einen großen historischen Fortschritt.“ Doch die gegenwärtige soziale Ordnung sei kein Geschenk der Unternehmer, sondern in „gesellschaftlichen und politischen Kämpfen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung aufgezwungen worden“. Auch nach Ansicht der IG Medien ist die soziale Marktwirtschaft für die Gewerkschaften „keineswegs der Endpunkt der historischen Entwicklung, wie auch unser Grundgesetz auf keine bestimmte Wirtschaftsordnung festgelegt ist“.

Ob die traditionell eher konservativen Gewerkschaften aus dem Chemie- und Bergbaubereich gegen solch deutliche Akzentverschiebungen ihr Veto einlegen werden, steht dahin. Gerade die Formulierungen im Entwurf zum Reizthema Markt und Staat entsprachen zum Beispiel voll den Vorstellungen der Bergarbeitergewerkschaft IGBE. Deren Sprecher Christoph Meer betrachtet es „als Fortschritt, daß von den alten Klassenkampfparolen abgerückt worden ist“.

Hart gerungen wird im papierenen Kampf um die richtige Linie auch beim Thema Emanzipation. Immerhin räumt der Entwurf ein, daß die „Konflikte zwischen den Geschlechtern“ in der Gesellschaft stärker geworden sind, und stellt dazu fest: „Auch überkommene Denkweisen und eine mangelhafte gesellschaftliche Unterstützung zwingen Frauen in die Doppelbelastung von Erwerbs- und Hausarbeit.“ Da diese Formulierung die ganz private Verantwortung der gewerkschaftlichen Paschas unterschlägt, möchte die IG Medien zumindest auch die „mangelhafte private Unterstützung“ beim Namen nennen.

Noch viel weiter geht die Kritik der stellvertretenden BUND-Vorsitzenden Angelika Zahrnt: Ihr fehlt die „Auseinandersetzung mit dem naturzerstörenden Charakter industrieller Arbeit“. Schon Paul Lafargue habe im Streit mit seinem Schwiegervater Karl Marx gegen die „unnatürliche Arbeitssucht“ polemisiert und das Recht auf Faulheit propagiert. Angesichts der heutigen irrwitzigen Warenproduktion sei eine „ökologische Ehrenrettung der Faulheit“ überfällig.

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