Schinkel blickt ins Leere

Heute wird das Denkmal für den Baumeister Schinkel wieder enthüllt, doch den Platz der Schinkelschen Bauakademie nimmt auf unabsehbare Zeit eine provisorische Rasenfläche ein  ■ Von Rolf Lautenschläger

Jetzt steht er wieder: den Fuß leicht aufgestützt, Stift und Zeichenmappe in der Hand, den Lockenkopf ein wenig angehoben, damit der Blick das Weite suchen kann – „cool“ sollte man sagen. Ein bißchen Philosoph, ein bißchen Künstler, ein bißchen Staatsmann im Staubmantel des Architekten spielt die Bronzestatue von Karl Friedrich Schinkel (1781 bis 1841), die heute an ihrem angestammten Standort zum zweiten Mal enthüllt wird. Die drei Meter hohe Skulptur des sparsamen preußischen Baumeisters, die Friedrich Drake 1869 für den Platz vor der Bauakademie geschaffen hatte, war 1949 vom maroden Sockel gestürzt.

Den Bronze-Schinkel restaurierten die Denkmalpfleger der DDR zwar leidlich, er wurde aber nicht wieder aufgestellt. Bis zur jetzigen Rundumerneuerung für 100.000 Mark mußte die Kultfigur der Architekten und Planer seine Zeit größtenteils in einem Holzverschlag hinter der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel verbringen. Ideologische Denkmalschleifung des „feudalen Baugenies“? Wohl kaum. Eher Vergeßlichkeit. Außerdem besetzte den früheren Schinkelplatz das DDR-Außenministerium. Dieses wurde letztes Jahr geschleift.

Jetzt steht Schinkel wieder, aber bis zuletzt hat er gewackelt. Weil der freie Raum zwischen Friedrichwerderscher Kirche und der Straße Unter den Linden gleich von zwei Senatsverwaltungen sowie dem Bund für ihre stadtplanerischen Projektionen beansprucht wird, kamen sich Bausenator Jürgen Klemann (CDU), der Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) und Bundesbauminister Klaus Töpfer (CDU) ins Gehege. Während Strieder das Gelände für sich beansprucht und im Konzert mit den zukünftigen Planungen für den Lustgarten sowie den Schloßplatz sieht, preschte Klemann letzte Woche mit einem Begrünungskonzept für den ehemaligen Standort der Bauakademie vor. Der Grund: Da der Bund das Grundstück nicht kostenlos zur Verfügung stellen will, sind Investoren für die Rekonstruktion der 100 Millionen Mark teuren Bauakademie nicht in Sicht. So wird ab November diesen Jahres das Areal erst einmal mit Bäumen, Rabatten und Rasen bepflanzt, „um die einstigen Umrisse“ der 1961 gesprengten Bauakademie – Schinkels Mega-×uvre aus rotem Backstein von 1836 – „wieder erlebbar zu machen“, so der Bausenator. Das werde Kleemans „Grünakademie“, witzelt man seither im Hause Strieder. Lachen kann der Stadtentwicklungssenator über den Pflanzen-Vorstoß aber nicht, da ein „endgültiges Denkmalprogramm“ vor Ort weiter liegenbleibt.

So wird zwar Schinkel auf einen neuen stählernen Sockel gehievt. Für die beiden einstmals benachbarten Standbilder, das Denkmal des Schinkelfreundes Peter Beuth und des Agrarwissenschaftlers Albert Thaer, werden nur provisorische Bodenplatten eingelassen.

Lachhaft daran ist, daß der ersten Enthüllung des Schinkeldenkmals 1869 ein ähnlich kleinkarierter Streit vorausging. Damals hatten die Beuth-Fans erreicht, den Gewerbeförderer Beuth ebenfalls auf den Sockel zu heben. Obwohl die Tradition nur Standbilder für Fürsten und Militärs zuließ, bewilligte Friedrich Wilhelm IV. die Aufstellung der Skulptur. Das brachte die wirtschaftlich erstarkten Landwirte so auf die Palme, daß sie für den Agrarexperten Thaer gleichfalls eine Statue vor der Bauakademie forderten. „Im Staatsministerium gab es einen energischen Schriftwechsel“, schrieb damals Rudolph von Delbrück, „zuletzt kam es, wie oftmals: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.“ Schinkel erhielt den Ehrenplatz, Beuth und Thaer flankierten den Bronzeriesen.

Wichtiger aber als der Streit um Statuen und Grünanlagen bleibt die Suche nach einem Konzept für die „neue“ Bauakademie. Denn diese ist seit dem Abriß des DDR- Außenamtes zum beliebigen Projektionsfeld für Architekten, Historiker und Baupolitiker avanciert: In der historischen Hülle kann alles und nichts untergebracht werden – vom Hotel und Café über ein Ausstellungshaus bis zur Architekturschule wurde fast alles vorgeschlagen. Die Diskussion ist oberflächlich im wahrsten Sinne des Wortes. Der Architektursoziologe Harald Bodenschatz hat zur Denkmalenthüllung ein kleines Büchlein mit dem Titel „Der rote Kasten“ vorgelegt: „Ein Wiederaufbau“, schreibt er, muß mehr sein als eine mehr oder weniger genaue Rekonstruktion eines architektonischen Highlights.“ Vielmehr komme es darauf an, die „europäische Dimension“ der Bauakademie weiterzudenken. Denn diese war nicht nur Architekturschule, sondern seit den zwanziger Jahren Sitz der Hochschule für Politik – Wegbereiter internationaler demokratischer politischer Wissenschaften.

Harald Bodenschatz: „Der Rote Kasten“. Transit Verlag