Geharkte Wege, gekupferte Worte

Serie: Staub abschütteln. Tips für Stadtflüchtige. Heute: nach Buckow in die Märkische Schweiz zum ehemaligen Wohnhaus Bertolt Brechts  ■ Von Katrin Bettina Müller

Nach Buckow reist man wegen Brecht und dem Scharmützelsee. Aber in der Regionalbahn ist erst mal Erich Kästner dran, „Emil und die Detektive“. Denn eine ganze Schulklasse wuselt durch den Waggon, auf der Suche nach dem Dieb „groß, blond, mit Rucksack“, der ihrer Lehrerin das Portemonnaie gestohlen hat.

Die zweite Aufregung kündigt in Umsteigeort Müncheberg eine resolute Schaffnerin an: „Ja, hat Ihnen niemand Bescheid gesagt? Der Triebwagen ist heute ausgefallen.“ Das regt vor allem eine alte Dame auf, Brecht-Groupie seit den Zeiten, als sie noch selbst durch den Scharmützelsee zu seinem Bootsanleger schwamm.

Fünfzig Mückenstiche später und um einige Blutstropfen ärmer erreichen wir zu Fuß die „Perle der Märkischen Schweiz“. Buckow glaubt man die über hundertjährige Geschichte als Sommerfrische. Mit Türmchen und Erkern blicken die Villen am östlichen Ufer wie kleine Festungen auf den Scharmützelsee.

Nur die frischen Anstriche und neuen Klingelschilder lassen die Dramen der Besitzerwechsel seit der Wende ahnen. Acht Hotels und vierzehn Gaststätten konkurrieren um den Gast, der mit Kuren in Buckow, Wanderungen auf Fontanes Spuren, Preisangeln und Sängertreffen umworben wird.

Kurz vor dem Brechthaus treffen wir unsere Brecht-Verehrerin wieder, inzwischen mit dem Bus eingetroffen. Sie hat „einen Roman“ zu erzählen. Denn weil die Gedenkstätte erst um 13 Uhr öffnet, ist sie auf das private Nachbargrundstück vorgedrungen, wo im sogenannten „Gärtnerhaus“, ehemaliges Arbeitsdomizil des Dichters, dessen Enkel leben. Haarklein berichtet sie, was sie aus dem Leben der im Garten Überraschten in Erfahrung bringen konnte. Empört teilt sie uns mit, daß die Enkeltochter nicht zur Lesung kommen wolle. Was Wunder, bei solchen Fans.

Geharkte Wege, steinerne Seepferdchen an der Terrasse, ein bemalter Hausgiebel – die Idylle um das Atelierhaus, seit 1977 als Brecht-Weigel-Gedenkstätte eingerichtet, ist perfekt. 1952 entdeckte Brecht die kleine Jugendstilvilla, die ein Bildhauer zum Atelier umgebaut hatte, als Fluchtort. Sein Arbeitszimmer im nebengelegenen „Gärtnerhaus“ zeigt ein Foto: Da standen nicht weniger als vier kleine Schreibtische.

Geselliger Treffpunkt war das große Atelier mit dem hohen Fenster zum See. Helene Weigel, der hier wie auf dem Theater Organisation und Inszenierung anvertraut war, hat den langen Holztisch mit den edel geschnitzten Stühlen aufgetrieben. Die gediegene Boheme läßt noch heute Besucher sauertöpfisch ins Besucherbuch schreiben: „Manche leben eben doch besser ... was ist eigentlich Sozialismus?“

Für Brecht jedenfalls bedeutete der Sozialismus, daß er, wie Briefe dokumentieren, 30 Kilogramm Farbe und Holz für den Fußboden direkt beim Ministerium für Innerdeutschen Handel orderte. Daselbst mußte aber auch er eine Sondergenehmigung einholen, um seine Reiseschreibmaschine von Berlin nach Buckow mitnehmen zu können. Vorzuweisen war die Genehmigung am Kontrollpunkt der Polizei Hoppegarten.

„Das kleine Haus unter Bäu-

men am See. / Vom Dach steigt

Rauch. /

Fehlte er / Wie trostlos dann

wären / Haus, Bäume und See.“

Kleine Kupfertafeln unter den Bäumen zitieren Brechts „Buckower Elegien“ und verklären die lakonischen Zeilen in Worte für die Ewigkeit. Die Auswahl kehrt den Brecht des kleinen Glücks hervor.

Aber daß dort, wo heute so perfekt verschlafene Kleinstadt und Seenverträumtheit gespielt wird, den Autor auch Mulmiges plagte, belegen Gedichte und Eintragungen ins Arbeitsjournal: „aber die FDGB-kurgäste brechen ein in den häusern und die polizei hat keine zeit, sie zu kriegen. das maul kann man nicht aufmachen, schon zwanzig jahre lang nicht mehr“, notierte er nach dem Gespräch mit einem Klempner, und man weiß nicht, wessen Gedanken Brecht niederschrieb.

Vorausgegangen war die Enttäuschung über den niedergeschlagenen Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 und die danach ausgebliebene Aussprache zwischen Volk und Führung. „Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?“ dichtete er bissig. In „Böser Morgen“ erwischte der Pessimismus gar das Bild der Landschaft: „Die Silberpappel, eine ortsbekannte Schönheit. / Heute eine alte Vettel. Der See / Eine Lache Abwaschwasser, nicht rühren!“

Wir aber nehmen den See zum Anlaß, den Gewitterwolken zuzusehen und eine Rundfahrt mit den „Seetours“ zu machen. Im Schiff sitzt eine große Gruppe Behinderter, die sich über alles freuen: den See, Ruderboote, die Kälte der Cola, den Pferdekopf auf dem T-Shirt, sogar, daß sie für uns zusammenrücken.

Nach Buckow fährt man ab Bhf. Lichtenberg stündlich 7.46 bis 20.46 Uhr. Brecht-Weigel-Haus bis Ende Oktober Mi.–Fr. 13–17, Sa./So. 13–18 Uhr. Sonntag, 25. August, 17 Uhr, Lesung: „Berlin – ein Ort zum Schreiben“. Info 033433/467

wird fortgesetzt