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Begehrter Porzellan-Rentner

■ Sie entwarf 1931 den KPM-Klassiker "Urbino": Die gebürtige Hamburgerin Trude Petri, eine Meisterin zeitlosen Berliner Designs, wird heute 90 Jahre alt

Totgesagte leben wirklich länger: Trude Petri, die Klassikerin des deutschen Porzellandesigns, soll nun schon seit 1968 nicht mehr unter den Lebenden weilen – so zumindest war es in diversen Publikationen zu lesen. Tatsächlich hatte sie zu diesem Zeitpunkt nur aufgehört, für die Staatliche beziehungsweise Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) Berlin Entwürfe anzufertigen. Aus der Lohnliste, aus dem Sinn?

Dabei hat die seit einigen Jahren privatisierte und in wirtschaftlicher Hinsicht streßgeplagte KPM allen Grund, den heutigen 90. Geburtstag ihrer früheren Entwerferin werbewirksam zu begehen. Schließlich hat Petris berühmtester Entwurf, das Speiseservice „Urbino“, in diesem Jahr gewissermaßen das Rentenalter erreicht.

65 Jahre lang unverändert produziert zu werden, das schafft sonst nur noch das ebenfalls 1931 in Serie gegangene Arzberg-Service „Form 1382“ von Hermann Gretsch. Der VW-Käfer, jahrzehntelang Paradebeispiel deutschen Industriedesigns, „rollt und rollt“ schon seit Jahren nicht mehr von deutschen Fließbändern. „Urbino“ hingegen fährt auch heute noch einen konstanten Teil des KPM-Umsatzes ein.

Die Keramikerin Trude Petri, 1906 in Hamburg geboren, kommt bereits 1929 zur Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin. Im gleichen Jahr revolutioniert Günther von Pechmann als neuer Direktor die Firmenpolitik der Manufaktur: Neben den aufwendigen und deshalb teuren traditionellen Servicen sollen fortan auch moderne, undekorierte Gebrauchsgeschirre das Bild der Manufaktur prägen. Trude Petris Aufgabe ist es, überkommene Formen zu modernisieren und neue, funktionale Geschirre zu entwickeln. Historische chinesische Formen gelten als Vorbilder für Petris schlichte, aus Kugelsegmenten abgeleitete „Urbino“-Entwürfe.

Der durchgängige Verzicht auf „Fahnen“, akzentuierte Tellerränder, verleiht Petris Service seine reduktionistische Leichtigkeit. Als „Urbino“ in die Modellbücher der KPM eingetragen wird, ist Trude Petri noch nicht einmal 25 Jahre alt.

An der modernistischen Firmenpolitik ändert sich zunächst auch durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten nichts. Die Jüdin Marguerite Friedlaender freilich, die andere große Entwerferin der Manufaktur, emigriert bereits 1933, ihr „Hallesches Service“ indes ist – ohne Nennung ihres Namens – bis zur Zerstörung der Formen im Zweiten Weltkrieg unverändert erhältlich.

Auch der Bildhauer Gerhard Marcks, wie Friedlaender ein ehemaliges Mitglied des von den Nazis aufgelösten Bauhauses, erhält durch die Protektion von Pechmann noch bis 1938 Entwurfsaufträge für die Manufaktur. Erst als in der Ausstellung „Entartete Kunst“ auch Werke von ihm zu sehen sind, unterbinden die Nazis die Ausformen seines Teeservices „Tiergarten“ zur Feier des 175. Geburtstages der Manufaktur. Von Pechmann wird auf Druck der Nazis entlassen. Als „Jubiläumsservice“ wird statt dessen das klassizistisch anmutende Tee- und Speiseservice „Arkadia“ von Trude Petri und Siegmund Schütz aufgelegt. Mit seinen extrem breiten Fahnen und den darauf angebrachten griechische Mythen zitierenden Medaillons wirkt es wie eine Vorwegnahme der Nouvelle cuisine mit ihren mehr symbolischen als sättigenden Portionen. Oder wie eine Materialisierung des Begriffs „innere Emigration“. Denn sosehr die mythologischen Abbildungen die Idee vom idealisch-glücklichen Arkadien evozieren, so sehr verlangt die fast schon schroffe Form nach Haltung und Etikette.

Hinzu kommt, daß die Medaillons eines jeden Gedecks miteinander in mythologischem Zusammenhang stehen, was beim Tischdecken ohne entsprechende Vorbildung schnell zu kleineren Fauxpas führen kann. Für eine Inanspruchnahme durch die Nazis ist das bildungsbürgerliche Service jedenfalls zu kompliziert. Überhaupt ist es erstaunlich, daß der staatliche Renommierbetrieb bis auf die gelegentliche Herstellung von Hitlerplaketten von propagandistischen Projekten weitgehend verschont bleibt.

Die kühl-reservierte Glätte, die viele KPM-Entwürfe jener Jahre prägt, verliert sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als unter dem Einfluß der „organischen Form“ freiere und offenere Konturen dominierend werden. So erweiterte Trude Petri das Speiseservice „Urbino“ 1949 um ein Kaffeeservice mit geradezu beschwingter Kannenform sowie um ein „rundeckiges“ Salatservice.

Die miteinander wettstreitenden Formtendenzen der fünfziger Jahre kombiniert Petri in eleganten Entwürfen. Ihr Aschenbecher „Parabol“ von 1953 besitzt trotz seines asymmetrischen Aufbaus eine ebenso spannungsvolle wie harmonische Form. Der innen glänzendschwarze Aschenbecher ist ein Musterbeispiel für das in den fünfziger Jahren populäre „organische“ Design und gleichwohl das Ergebnis einer Reißbrettidee, nämlich zwei Parabeln nicht ganz konzentrisch zueinander um ihre Achsen zu drehen.

1949 verläßt Trude Petri Deutschland und heiratet in Chicago ihren Jugendfreund, den Architekten John G. Raben. In ihrer privaten Werkstatt fertigt sie aber noch bis 1966 keramische Modelle, die der KPM als Vorlage für Porzellanformen dienen. Den Wandel vom eleganten Linienschwung der fünfziger zu den streng geometrischen Konturen der sechziger Jahre hat sie allerdings nicht mehr mit vollzogen. Seit 25 Jahren lebt sie in einem Altenwohnheim in Vancouver, Kanada. Reinhard Krause

Im Verlag Willmuth Arenhövel ist eine „Hommage zum 90. Geburtstag. Siegmund Schütz und Trude Petri“ (38 DM) erschienen.

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