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Heute Kanada, morgen Kalifornien

■ Zwei Weltmeisterschaften in vier Wochen: Ivonne Kraft versucht sich auf höchstem Niveau als Trampolinturnerin und Fahrradkurierin

Karlsruhe (taz) – Die Geschichte von Ivonne Kraft und ihrer Teilnahme an den Weltmeisterschaften im Trampolinturnen in Kanada hat nicht nur ein bißchen mit Zufall zu tun. Anfang des Jahres noch hätte sie nicht einmal daran gedacht, daß sie an diesem Wochenende in Vancouver an den Start gehen würde. Schließlich hatte sie das leistungsmäßige Turnen an den Nagel gehängt. Und der letzte große internationale Wettkampf für die Trampolinturnerin vom Bundesleistungsstützpunkt im Badischen Gernsbach liegt bereits fünfeinhalb Jahre zurück.

Damals hatte sich Ivonne Kraft mit dem Deutschen Turnerbund (DTB) ein wenig gezofft, weil er von ihr verlangte, was sie nicht zu leisten bereit war: die totale Hingabe an ihren Sport. Und das, wo sie sich doch für so viele andere Dinge interessierte, so wie man das eben tut als junge Frau, wenn man gerade Abitur gemacht hat und das Leben auf einen wartet. Nicht daß es an Leistung gemangelt hätte: Fünfte im Synchronspringen bei der WM 1988 war sie, im gleichen Jahr gewann sie mit dem deutschen Team den DTB-Pokal, nach der WM die ranghöchste Trophäe, zwei Jahre später wurde sie Zwölfte im Einzel und Vizeweltmeisterin im Team. „Die Leistung hat immer gestimmt“, sagt die 26jährige rückblickend, „aber die wollten mehr.“ Also hat Ivonne mit dem Leistungssport aufgehört, weil sie sich nicht von anderen in ihr Leben reinreden lassen wollte.

„Ich will nicht mit dem Kopf durch die Wand“, sagt Kraft, „aber ich weiß, was ich will.“ Nicht nur im Sport. Ihr Lehramtsstudium in Mathematik, Sport und Hauswirtschaft hat sie zwar beendet, den Lehrerjob ausüben will sie aber nicht. „Ich habe andere Vorstellungen vom Unterricht als das Oberschulamt“, sagt sie. Ivonne verdient sich ihre Brötchen lieber als professionelle Fahrradkurierin in Karlsruhe.

Landestrainerin des Badischen Turnerbundes wurde sie vor einem Jahr trotzdem. Und weil ihre Eleven auch die Meisterin einmal so richtig wettkampfmäßig turnen sehen wollten, meldete sich die Trainerin im März zum Grenzlandcup in Aachen an. Mit dem Ergebnis, daß sie nun bei der WM dabei ist. Schon zwei Wochen nach Aachen wurde sie von Bundestrainer Roland Berger zu einem Länderkampf nach England eingeladen. Im Mai, bei den Deutschen Meisterschaften, wurde sie dann eigentlich unvorbereitet Dritte. „Das Ganze war eher ein Versehen“, wundert sich sich selbst.

Der Bundestrainer, der erfolgreichste beim DTB überhaupt, weiß, daß Ivonne Kraft ein Experiment ist, ein Notnagel. Vier Turnerinnen braucht er für sein Team, Verletzungen ließen ihn schließlich auf die Gernsbacherin zurückgreifen. „Wir müssen sehen, ob es klappt“, sagt er, schließlich sei Ivonne früher sehr gut gewesen, „und die Koordination verlernt man eigentlich nicht“.

Seit Mai beschäftigt sich Ivonne nun also wieder etwas intensiver mit Salto A und Salto B, mit Rudolfs und Randolfs und wie die Übungsteile beim Trampolinturnen so hübsch heißen. Über die Plazierung bei der WM hat sie sich noch keine Gedanken gemacht. Die Qualifikation fürs Einzelfinale wird sie kaum schaffen, aber mit dem Team gilt es Platz fünf zu verteidigen.

Doch Vancouver ist nur die eine Weltmeisterschaft, die Ivonne Kraft in den nächsten Tagen bestreiten wird. Schon eine Woche später steht San Francisco auf ihrem Reiseplan, wo vom 30. August bis 23. September die Weltmeisterschaft der Fahrradkuriere stattfindet. Dort geht Ivonne Kraft im übrigen als Titelverteidigerin an den Start. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte. Frank Ketterer

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