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Solidarisch in der Ernteschlacht

■ Obst im Überfluß – Obstbörse und Berliner Tafel helfen

Ja, das waren noch Zeiten 1976, als die Kleingärtner 30 Tonnen Obst verschenkten oder weit unter dem Marktpreis abgaben. 360 Laubenpieper beglückten damals über 1.000 West-Berliner mit Kirschen, Äpfeln, Birnen oder Nüssen. Doch die Zeiten des Einweckens und Anbauens für Notzeiten scheinen endgültig vorbei zu sein, seitdem mit dem Mauerfall die Hamstermentalität der West-Berliner ihre Grundlage verlor.

Im letzten Jahr vermittelte die Obstbörse der Verbraucherzentrale gerade mal sieben Tonnen an 400 sogenannte „Nachfrager“, erzählt Anke Luschinski von der Obstbörse. Und dieses Jahr ist wahrlich der Tiefstpunkt der Abgabe von privat an privat erreicht: Bisher wanderten nur etwa 650 Kilogramm Obst aus Schrebers Garten auf Müllers Küchentisch.

Über die Gründe des starken Rückgangs kann Luschinski nur spekulieren: Die geänderte Telefonnummer der Obstbörse, eventuell günstige Einkaufsmöglichkeiten auf Umlandmärkten. „Nur an der Ernte kann es nicht liegen“, ist Luschinski sicher. Vielleicht hätten die Kleingärtner aber auch andere Vermittlungsformen. In der Tat stellen einige Laubenpieper überschüssiges Obst einfach vor die Kleingartenanlage, ohne sich die Mühe zu machen, das Telefon mit johannisbeerroten Fingern zu verkleistern.

Was die Kleingärtner dieses Jahr in kleinen Mengen an viele Interessenten abgegeben haben, hat die Hofgemeinschaft „Apfeltraum“ auf einen Schlag geschafft. Der Biobauernhof fünfzig Kilometer östlich von Berlin drohte in Zucchini zu ertrinken. „Wir hatten noch nie so viel wie dieses Jahr“, klagte Editha Kirch. „Durch den Regen wachsen die wie blöd.“ Der Ökobauernhof, der seit Juli fast drei Tonnen Zucchini geerntet hat, wußte nicht mehr, wohin mit den Früchten. Selbst Rinder und Schweine winkten ab. Bis Editha Kirch dann über die taz von der „Berliner Tafel“ hörte, dem Verein, der Essen für Obdachlose organisiert.

So schnell wie sich die beiden Parteien einig waren, wächst nicht einmal eine Zucchini in diesem fruchtbaren Sommer: Ein Telefonat und eine Stunde Fahrzeit mit drei Autos und schon war „Apfeltraum“ 700 Kilo Zucchini los. Barbara Bollwahn

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