: Eine Frage des Ermessens
Berechnungsfehler macht Elbe flacher / Schiffe könnten bis zu 600 Tonnen mehr Ladung transportieren / Verluste für Reeder unklar ■ Von Heike Haarhoff
Die Elbe ist tiefer befahrbar als bislang angenommen. Seit Jahren hätten die großen Containerschiffe problemlos mehr und weitaus schwerere Fracht transportieren können als zugelassen. Problemlos deshalb, weil die Schiffe – trotz ihres schwereren Gewichts und damit höheren Tiefgangs – weiterhin tideunabhängig, also rund um die Uhr, in den Hamburger Hafen hätten ein- und auslaufen können. Und zwar ohne zusätzliches Ausbaggern der Elbwasser-Fahrrinnen.
Denn die maximalen, tideunabhängigen Tiefgänge für Schiffe sind mit 12 Metern tatsächlich zehn Zentimeter tiefer als bisher offiziell mit 11,90 Metern angegeben. Und das seit 1978. „Ein Berechnungsfehler“, gestand die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Nord in Kiel gestern, der leider erst kürzlich aufgefallen sei, als man das Meßsystem „vom englischen Fuß und Zoll auf das metrische System umgestellt“ habe. Die wirtschaftlichen Einbußen der Reeder, die ihre Schiffe deshalb jahrelang unausgelastet auf die Reise schickten, sind noch unbekannt.
Seit der letzten Elbvertiefung (1974 bis 1978) lautete die einhellige Ansage von Wirtschaftsbehörde und Wasser- und Schiffahrtsdirektion: Schiffe mit einem Tiefgang bis höchstens 11,90 Meter – das betrifft vor allem die großen Containerschiffe der 3. Generation – können unabhängig von Ebbe und Flut ein- und auslaufen. In Wirklichkeit aber liegt der Höchsttiefgang bei zwölf Metern.
„Das sind Welten“, ist Wirtschaftsbehörden-Sprecher Rainer Erbe „verblüfft“, wie sich die Fachleute jahrelang um zehn Zentimeter verrechnen konnten. „Je nach Schiff und Bauart bedeutet ein Spielraum von zehn zusätzlichen Zentimetern bis zu 600 Tonnen mehr Ladung, also 60 bis 100 Container“, weiß Wirtschafts-Experte Erbe. „Strom- und Hafenbau gibt den durchschnittlichen Umsatz pro Container nach Fernost mit 1500 Mark an“, bemerkt GAL-Wirtschaftssprecher Alexander Porschke spitz.
„An der Elbe haben wir wirklich nichts gemacht“, beteuert indes die Schiffahrtsdirektion. Man habe lediglich ein „optimiertes Rechnerprogramm“ eingesetzt. Das dann – im Dezember 1995 – den fast 20jährigen Fehler bei der Umrechnung von Fuß in Meter entlarvt habe. Ferner seien Pegelstände und Strömungsgeschwindigkeiten sowie Tidefahrpläne genauer berechnet worden. Den Reedern, Lotsen und der internationalen Schiffahrt sei diese Änderung „selbstverständlich umgehend“ mitgeteilt worden, beeilen sich Hamburg und Kiel zu versichern.
Auch für den tideabhängigen Verkehr auf der Elbe würden sich „voraussichtlich Vorteile ergeben“. Denn das „Tidefenster“, also die Zeitspanne, in der auch Schiffe mit einem Tiefgang von mehr als zwölf Metern ein- und auslaufen können, ohne im Schlick steckenzubleiben, werde sich wohl auch vergrößern. Ein genauer Fahrplan werde derzeit erstellt.
Für „pressewirksam“ habe man diese neuen Erkenntnisse allerdings nicht gehalten und daher von der Unterrichtung der Öffentlichkeit abgesehen. Die geplante Elbvertiefung auf einen maximalen tideunabhängigen Höchsttiefgang von 12,80 Metern sei ungeachtet der korrigierten Meßwerte „ökonomisch unerläßlich“.
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