Kleinere Brötchen für Sydney 2000

Die Paralympics enden mit einem Skandälchen, aber der Behindertensport scheint auf dem richtigen Weg. Nun geht es darum, die neugewonnene mediale Aufmerksamkeit für die Zukunft zu nutzen  ■ Aus Atlanta Iris Hilberth

Als die purzelnden Weltrekorde bei den zehnten Paralympics in Atlanta schon fast die teilweise chaotischen Zustände bei den Olympischen Spielen am gleichen Ort vergessen gemacht hatten, regte sich doch noch ein Mißton. Die Schweizer Sportler boykottierten die Abschlußfeier, um auf die „gravierenden organisatorischen Mängel“ aufmerksam zu machen. Der Protest richtete sich aber gegen das Organisationskomitee APOC und ausdrücklich „nicht gegen die vielen Freiwilligen“, die „mit ihrem Einsatz“ den Ablauf möglich gemacht hatten.

Ohne das Skandälchen wäre als Gesamteindruck übriggeblieben, daß noch ein Athlet schneller geschwommen war als andere seiner Klasse jemals zuvor; daß eine Sportlerin in der Leichtathletik eine Weite erzielt hatte, von der bisher nur geträumt wurde.

Vor vier Jahren in Barcelona waren die Leistungen der BehindertensportlerInnen bereits rasant nach oben geschnellt. Doch mit den Zeiten und Weiten von 1992 war in Atlanta kaum mehr eine Medaille zu gewinnen. Mehr Teilnehmer haben sich intensiver und professioneller auf die Wettkämpfe der Paralympics vorbereitet. In Trainingsaufwand und Methoden unterscheiden sich die Behindertensportler inzwischen kaum mehr von nichtbehinderten Kollegen. Als Leistungssportler suchen sie nach Anerkennung. Der Weg, den sie beschreiten, orientiert sich immer mehr am nichtbehinderten Spitzensport.

Fusion mit Olympia oder weiter ein eigener Weg?

Und doch sind sie darauf bedacht, ihren eigenen Weg zu gehen. Aber der Ruf nach Integration in die Olympischen Spiele wird immer wieder laut. Auch in Atlanta äußerte der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), Robert Steadward, derartige Ideen. Einen Gefallen tut er seiner Bewegung damit aber nicht. Denn die ist dabei, ihr erworbenes Profil weiter zu entwickeln. Die olympische Idee des fairen Miteinanders will die paralympische Familie auch in Zukunft der Öffentlichkeit bieten und dabei dennoch auf einem hohen Niveau die Leistungsfähigkeit und die Selbständigkeit von Menschen mit körperlichen Einschränkungen demonstrieren. Durch das Auftreten als Leistungssportler, die auch eine Behinderung haben, und eben nicht als Behinderte, die Leistungssport treiben, hoffen sie, ein Umdenken der Nichtbehinderten in Gang zu setzen.

An der Spitze mitzuhalten ist nur noch mit professionellen Methoden möglich. Und wenn Geld ins Spiel kommt, wird der freundschaftliche Umgang schwierig. Daher begeben sich die BehindertensportlerInnen auf eine komplizierte Gratwanderung. Sicherlich werden ihnen sowohl von außen als auch aus den eigenen Reihen immer wieder Steine in den Weg gelegt. So führte der Vorschlag des Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) Deutschlands, Walter Tröger, die Paralympics in Zukunft in der Verliererstadt der Olympiabewerbung auszutragen, zur Entrüstung. Mit dem Verlierer-Image wollen die BehindertensportlerInnen nichts zu tun haben und zudem die Gleichstellung mit dem Sport der Nichtbehinderten gerade durch die räumliche Nähe vorantreiben. Gleicher Ort, gleiche Sportstätten, das soll auch weiterhin Olympische Spiele und Paralympics miteinander verknüpfen.

Gehen die attraktivsten Sportarten verloren?

Fortan wäre aber auch ein gemeinsames Organisationskomitee nötig. Denn es führt meist zu Unstimmigkeiten, die beiden aufeinanderfolgenden Großveranstaltungen in zwei Hände zu geben – das hat Atlanta bewiesen. Das fängt bei der Verteilung der Sponsorengelder an und setzt sich in dem nicht in ausreichendem Maß erfolgten Aufräumen nach der ersten Veranstaltung fort.

Auch dem für manche Athleten sicher lockenden Angebot, bestimmte Sportarten wie das Rollstuhlrennen oder Rollstuhlbasketball in das olympische Programm aufzunehmen, gilt es zu widerstehen. Denn damit würde der Behindertensport seine attraktivsten Sportarten, seine Zugpferde verlieren. Auch wenn die Hallen und Stadien diesmal bei weitem nicht so voll waren wie in Barcelona, da die Paralympics-ZuschauerInnen zum ersten Mal Eintritt zahlen mußten. Auch hier ist die Angleichung vorangeschritten, die im Zuge der Akzeptanz auch wichtig ist. Karten zwischen 16 und 160 Mark stellten sich jedoch als zu hoch gepokert heraus, auch wenn nach APOC-Angaben insgesamt 500.000 Tickets verkauft worden sind. In Sydney sollen in diesem Bereich kleinere Brötchen gebacken werden. Doch bis dahin sind es noch mal vier Jahre, in denen der Behindertensport darauf bedacht sein wird, den eingeschlagenen, jedoch nur gemeinsam zu steuernden Kurs beizubehalten.