Das irre Gelächter der Hofschranzen

■ Glückliche erste Eindrücke vom Varietéfestival in den Hackeschen Höfen

Verwirrt und fasziniert taumelt das Publikum aus der Premiere des französischen Varieté-Ensembles „Les oiseaux foux“ aus dem großen Zelt des 1. Berliner Varieté- und Comedy-Festivals wieder hinaus in die Hackeschen Höfe.

Die Provokation war gelungen: Schräge Kammermusik von barock livrierten Dienern mit gepuderten Perücken hatte während der Aufführung des Stücks „Caglistro“ an den Nerven gesägt, Derwische entsprangen rollenden Bällen, kletterten an den Zeltwänden hoch und runter und brachten durch ihr unerwartetes Auftauchen unter den Sitzbänken knöchelzwickend ganze Zuschauerreihen zum Kreischen. Von unsichtbarer Hand wurden Glasbälle auf die Bühne gekullert, die sich die Artisten kunstvoll um Leib und Hände gleiten ließen, mit denen sie tanzend und purzelbaumschlagend so natürlich jonglierten, als wären es ihre eigenen Körperteile.

Tanz und Magie, Musik und Maskerade, Jonglage und Trapezkunst – bei den „verrückten Vögeln“, dem berühmten Ensemble von Straßenkünstlern, Musikern, Artisten und Theaterleuten, fand alles zugleich statt. Worauf zuerst achten? Auf die grotesk-skurrilen Bewegungen der Kurtisanen und das irre Gelächter der Hofschranzen? Auf das staksige Stolpern der Monarchin mit ihren uon einer überdimensionalen Krinoline umhüllten drei Meter hohen Stelzen oder auf den an einem Seil wie eine Marionette durch den Raum schwebenden Violinisten? Alles an dem Spektakel war Ausdruck der Dekadenz des absolutistischen Zeitalters, in dem sich Protagonist Graf Cagliostro, Scharlatan, Magier und Feuerteufel, bewegte.

Zahlreiche Acts, traumtänzerische Seilnummern (fast ein wenig langweilig in ihren ruhigen und ausformulierten Tanzelementen) und eine virtuose Keulenjonglage zwischen vier ständig den Platz und den Rhythmus wechselnden Künstlern spielten im Vordergrund, während der Hof an den Nebenschauplätzen der Bühne in Aufruhr war: zankend, singend, manieriert tanzend dem Ende und damit der Gefangenschaft des Grafen in einem Käfig und dem Kollaps der Fürstin entgegen.

Die französische Truppe als eine der Attraktionen des Festivals hat ihr eigenes Bühnenzelt als ständigen Spielort aufgeschlagen, in allen anderen Theatern herrschte fliegender Wechsel zwischen Comedy, Varieté und Kabarett. Vielseitig zeigte sich das Hackesche Hoftheater mit dem Berliner Duo FinkeFaltz und anschließendem „Schlot-Cabaret zu Notbremse“. Während die „Notbremse“ Szene- Originale aus Mitte wie Puppenspieler Peter Waschinsky und Hinterhof-Chanteuse Martina Brandl präsentierte, führte FinkeFaltz die gute, alte Pantomime ad absurdum.

Denn diese muß nicht sprachlos sein, hat das Duo entschieden und untermalt seine spielerisch leicht wirkenden Scharaden mit musikalischen Playbacks und lebensechten Geräuschen wie aus Comic- Luftblasen. Wunderschön, wenn sich irgendwann ein Dialog zwischen Darstellern und Zuschauern entspinnt und letztere plötzlich unsichtbare Gegenstände durch den Raum werfen und wieder auffangen, als hätten sie nie etwas anderes getan.

„So richtig etwas zum Totlachen“ suchen zwei junge Festivalbesucher im Programmheft und entscheiden sich für den Auftritt der „Lonely Husband“, Männer- Trio und ehemalige Hauskapelle des Chamäleons. In ihrem „Umleitungs-Rap“ beschäftigen sich die A-capella-Künstler mit den Auswirkungen der Regierungsviertel- baustelle auf Stadt und Mensch: „Mitten in Berlin, und du weißt nicht wohin, Berlin mittenmang, und du weißt nicht wolang.“

Hauptstadtlärm – das zeigt das Festival – ist derzeit vorrangiges Thema des Berliner Kabaretts, wie neben der Lonely Husband Uwe Woitas in seiner Ode an den Bauarbeiter und Sängerin Palma Kunkel mit ihrem Baustellen-Kreisch- Song beweisen. „Ja Handwerk ist lästig.“

Beladen mit Hula-Hoop-Reifen wirbelte die ukrainische Artistin Yelena Larkina über die Bühne des Chamäleon, mit fast unsichtbaren Hüftzuckungen drehte sie die Reifen um sämtliche Körperteile. Zauberer Sergej aus Moskau verschrieb sich indessen der Parodie mißgünstiger Trickzuschauer: „Wie macht der Zauberer das bloß“, äfft er in seiner musikalischen Magie-Comedy nach, während er Blumen erblühen und Karten verschwinden läßt.

Bei allen Varietéfreuden hat die Festival GmbH eines allerdings vergessen: eine vergünstigte Mehrfach-Eintrittskarte. Denn soviel Spaß das Neben- und Nacheinander der Shows macht, so teuer ist es auch. Preise von 18 Mark sind für einzelne Veranstaltungen gerechtfertigt, führen aber dazu, daß die meisten nicht mehr als eine pro Abend besuchen können. Da haben wir jetzt alle Festivalvorteile – und können sie gar nicht richtig nutzen. Ulrike Heesch

Bis 10. 9., täglich und teilweise schon ab 10.30 Uhr, Programmhinweise und Karten unter Telefon: 53 43 63 63