: Flucht nach vorn
■ PLO-Chef Arafat droht Israel – aus Hilflosigkeit
Jassir Arafat steht das Wasser bis zum Hals. Die israelische Regierung baut die Siedlungen aus, zieht sich nicht aus Hebron zurück, zerstört palästinensische Häuser in Ost-Jerusalem, sogar ein Behindertenheim, und zementiert ihren Griff auf die ganze Heilige Stadt. Die Autonomiegebiete sind trotz aller Lockerungen immer noch abgeriegelt.
Im eigenen Lager wächst die Kritik. Der palästinensische Dichter Mahmoud Darwisch schreibt Spottgedichte auf Arafats Autonomietruppe. Die Vorwürfe sind bekannt: Polizeiwillkür, Zensur, Korruption, Ermordung von Inhaftierten. Arbeit gibt es nicht, das Pro-Kopf-Einkommen der Palästinenser ist seit dem Friedensschluß fast um die Hälfte gefallen. Und das Haushaltsdefizit der Autonomieverwaltung wird in diesem Jahr doppelt so hoch ausfallen wie geplant.
Arafat muß taktieren. Also schlägt er sich kurzerhand auf die Seite seines gedemütigten Volks. Er prangert Israels Siedlungspolitik als „Kriegserklärung an die Palästinenser“ an und schimpft Netanjahu ziemlich undiplomatisch einen „Idioten“. Zugleich ruft er einen vierstündigen Generalstreik aus, bei dem seine eigenen Polizisten sogar den Privatverkehr zum Stillstand bringen. Und für heute hat der Gläubige alle Muslime zum Freitagsgebet in die Al-Aqsa-Moschee gebeten. Natürlich weiß er, daß kein Palästinenser die israelischen Kontrollposten vor Jerusalem passieren kann. Die Signale aber sind gesetzt, die Botschaft ist angekommen: Bringt die israelische Regierung zur Räson!
Doch Arafats Drohungen sind Blendwerk. Seine Sprache verrät Hilflosigkeit. Seine Rhetorik verfängt nicht einmal mehr im eigenen Volk. Und auch sein jetziger Schachzug wird diese israelische Regierung von ihrem Kurs nicht abbringen. Die will in erster Linie Land und nicht Frieden. Also läßt Netanjahu ein wenig verhandeln, und die internationale Gemeinschaft wird ein wenig Geld geben. Für das Gros der Palästinenser aber wird alles nur schlimmer. Genau das macht die tiefe Krise des Friedensprozesses aus. Was Wunder, daß die israelische Armee sich schon auf eine neue Intifada einrichtet. Deren Führer hat der Dichter Darwisch in seinem Gedicht schon ausgemacht: Ahmed Yassin, in Israel inhaftierter Hamas-Gründer. Georg Baltissen
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen