„Einer geht noch rein“

■ Ein Kurztrip auf dem Fun-Ship „Calypso“ – Der Spaß ist Programm, Vieltrinker werden nicht enttäuscht.

Unruhig rutscht der Lockenkopf auf dem Barhocker hin und her. Schon seit einer Viertelstunde versucht er, in der „Captain's-Bar“, die Blicke der Damenwelt auf sich zu ziehen. Mit beiden Händen fährt er sich durch die Mähne, die ihm in blonden Rastalocken bis über die Schultern fällt. Den Mund zu einem breiten Grinsen verzogen, läßt er seinen glasigen Blick durch die Bar schweifen. In kurzen Abständen zwinkert er dem jeweiligen Objekt seiner Begierde zu.

Doch nichts zu machen. Ob den Damen, die an ihren Cocktails nippen, der schmale weiße Streifen am rechten Ringfinder des Mannes aufgefallen ist? Der verhinderte Herzensbrecher leert in einem Zug sein Glas, knallt es unsanft auf den Tresen und wankt zur Tür.

Während die Passagiere vornehmer Luxusliner den Auftritt von „Don Juan“ vermutlich mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert hätten, kommt er auf der „Calypso“, die zu einem fünftägigen Kurz-Trip nach London und Amsterdam in See gestochen ist, mit einem schmeichelhaften Spitznamen davon. Laut Prospekt ist das „Fun-Ship“ Calypso nämlich „genau der richtige Ort für einen legeren und ungezwungenen Urlaub“. Deshalb gibt es auch keine Kleiderordnung („Sie allein entscheiden, was passend ist. Schließlich sollen Sie sich im Urlaub rundum wohlfühlen. Vielleicht kommen Sie zum Captain's Dinner nicht in Shorts, aber ein Smoking oder ein langes Abendkleid sind kein Muß“).

Mit diesem Konzept versucht Transocean Tours ein breiteres Publikum für Kreuzreisen zu begeistern. Zu Beginn der neunziger Jahre hatte sich die Zahl der deutschen Kreuzfahrer zäh auf 170.000 eingependelt. Das Durchschnittsalter lag – trotz kinderfreudlicher Preisgestaltung – jenseits des Pensionsalter. Um jüngere Leute an Bord zu locken, schickten die Reedereien nach amerikanischem Vorbild die sogenannten „Fun-Ships“ mit Clubcharakter auf See. Im Vergleich zu den Luxuslinern senkten sie auch die Preise. Billig sind Kreuzreisen deshalb allerdings nicht: Ein Tag auf der Calypso kostet im Sommer durchschnittlich 340 mark, im Winter 295 Mark. Dafür sollen sich die Gäste in den Bars, der Sauna, dem Kosmetik-Salon, bei der Massage, im Pool oder Fitness-Raum entspannen. Clubanimateure sollen die Gäste bei Laune halten. Musical, Kabarett, Gameshows und Gymnastik stehen deshalb auf dem Programm. Und auch für das leibliche Wohl wird rund um die Uhr gesorgt. Vom Frühstück bis zum Mitternachtsimbiß stehen sechs Mahlzeiten auf dem Speiseplan (die Küche ist übrigens vorzüglich). „Eine prima Idee, Kreuzfahrschiffe einzusetzen, auf denen es nicht so steif zugeht“, findet Elfriede Sommer (Name von der Redaktion geändert). Mit ihren über 80 Reisen um die ganze Welt ist sie eine passionierte Kreuzfahrerin. „Ich brauche den Luxus der „Europa“ nicht.“

„Man hat das Gefühl von Luxus ohne dafür zu bezahlen“, sagt auch die 23jährige Tine Rau. Sie hat mit ihren Freundinnen den Kurztrip auf der „Calypso“ gebucht. „Mir gefällt auch, daß man hier nicht so eingebunden ist. Ich habe keinen Bock auf diese organisierten Landausflüge. In Amsterdam und London kann man ja machen was man will. Und abends kann man auf dem Schiff Remmi-Demmi machen. Das paßt mir in den Kram.“

Unterdes zieht eine Polonaise mit etwa 50 Passagieren durchs Schiff. „Einer geht noch rein“, singen die Kreuzfahrer im Chor. Am Gelände der Einkaufszeile machen sie Station. Flugs werden kleine, schwarze Fotodosen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt und verteilt. „Einer geht noch rein“, schallt es durch das Schiff. Die Passagiere erheben feierlich „das Glas“ und leeren die Dose in einem Zug. Einige verziehen das Gesicht. „Und weg damit“, schreit der Animateur. „Einer geht noch rein“, stimmen die Passagiere wieder an und ziehen weiter in die „Tropical Bar“.

Ein Animateur im weißen Hemd spielt auf der Heimorgel. „Zärtlich wie ein Kind“, schmalzt er ins Mikrophon. Die Pärchen wippen im Takt und schlittern leicht über die Tanzfläche. Draußen peitschen die Wellen gegen die Bordwände. Der Wetterfrosch hat Sturmwarnung ausgegeben. Auf den Tischen schwappt der Wein aus den Gläsern. „Das ist ja wie auf der Titanic“, lacht ein junger Mann. „Da haben die Passagiere auch bis zuletzt getanzt. Gesetzt den Fall, wir gehen unter, können wir dann eigentlich schon an Land schwimmen.“ „Wohl kaum“, ist die Antwort seines Tischnachbarn. „Ist doch aber eine nette Art zu sterben. Oder?“

Auch Don Juan ist guter Laune. Eng umschlungen tanzt er mit einer jungen Frau. Er strahlt übers ganze Gesicht und säuselt seiner Angebeteten etwas ins Ohr. „Let's twist again“, schmettert der Mann an der Heimorgel plötzlich aus vollem Halse. Der Seegang verlangt offenbar nach einem neuen Musikprogramm.

Eine Etage höher, in der Captain's Bar, ist inzwischen das Casino eröffnet worden. Dicht gedrängt stehen die Passagiere um den Tisch herum. Die Jetons rutschen verdächtig über das Filztableau. Der Weg in die Kabine wird zum Zick-Zack-Lauf gegen die Schiffswände. Der Wind schaukelt das Schiff hin und her. Oder ist es der Alkohol?

Am nächsten Morgen legt die „Calypso“ wieder in Bremerhaven an. Don Juan sitzt leicht verkatert im Cafe und nippt an einem Espresso. Ein Gummiband hält die Lockenmähne im Zaum und an seinem rechten Ringfinger steckt der Ehering. Hermione Ganswind

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