: „Schnauze zur Straße parken“
Ein gefährliches Erdgasprojekt bringt die Usedomer gegen die Treuhand auf: Touristen im Schein der Raffinerieflammen ■ Von der Ostseeküste Annette Jensen
Hunderte reifer Brombeeren hängen am Busch. Unkraut sprengt die Betonplatten. Nebeneinander ragen zwei leuchtendblaue Rohre mit mehreren Ventilrädern aus dem Boden. Diese kaum mannshohe Konstruktion hält einige Milliarden Kubikmeter Gas unter der Erde, die sonst aus 2.700 Meter Tiefe emporschießen würden.
„Wir dachten, das mit dem Gas sei längst Vergangenheit“, erzählt ein Anwohner, der wenige Meter vom Zaun mit den weißroten Warnschildern die Straße kehrt. „Und jetzt hat die Treuhand klammheimlich die Förderrechte verkauft“, ereifert sich der Mann mit dem Besen. Bis 1988 hatte das Kombinat Erdöl-Erdgas Gommern (EEG) hier an der Grenze zwischen den Usedomer Seebädern Bansin und Heringsdorf gebohrt und war dabei auf eine große, mit schwefelhaltigem Methan und Stickstoff gefüllte Blase gestoßen. Doch aufwendige Förder- und Reinigungstechnik aus dem Westen war nur für harte Devisen zu haben, und davon hatte die DDR zuwenig. So verschlossen die Ingenieure die Bohrlöcher auf der zweitgrößten deutschen Insel an der Grenze zu Polen.
Ende 1994 bekamen die französische Firma Gaz de France und die inzwischen von ihr aufgekaufte EEG nach langen Verhandlungen den Zuschlag. Etwa 365 Millionen Kubikmeter will der Konzern jährlich fördern – mindestens 20 Jahre lang. Dafür bezahlte er nur eine knappe Million Mark an die Privatisierungsbehörde.
„Das Gas ist hochgiftig und muß aus technischen Gründen hier vor Ort gereinigt werden“, weiß Manfred Wanke. Von seiner Terrasse aus konnte man früher unmittelbar auf die Förderstation gucken; jetzt behindert dichtes Buschwerk den freien Blick. „Die Arbeiter auf dem Gelände sind damals oft mit Gasmasken rumgelaufen“, hat der Inhaber eines Elektroladens beobachtet. An vielen Tagen habe es bestialisch nach faulen Eiern gestunken; mit Atemnot sei er an den Strand geflüchtet. Jahrelang mußten er und seine Familie Koffer mit dem Nötigsten bereithalten und das Auto mit der Schnauze zur Straße hin parken; so schrieb es der Evakuierungsplan vor. „Doch jetzt nach der Wende haben sich sogar die physikalischen Gesetze geändert. Was früher toxisch war, soll nun plötzlich völlig ungefährlich sein“, meint Wanke bissig.
Das Zentrum von Bansin liegt nur 300 Meter Luftlinie entfernt, direkt am Meer. Viele der klassizistischen Villen mit Säulen und großen Wintergärten sind herausgeputzt. Die weißgelbe Fassade vom Posthotel ist gerade frisch getüncht. „Wir haben mehrere Millionen in das Haus investiert“, sagt Gerhard Hühler, der nach der Wende den alten Betrieb seiner Eltern zurückbekommen hat. Noch haben seine Gäste freien Blick auf den Schloonsee und zahlen dafür immerhin 80 bis 130 Mark pro Nacht. Doch wenn Gaz de France, wie angekündigt, 1999 den Betrieb aufnehmen sollte, dann sehen die Sommerfrischler vom Fenster aus eine Chemieanlage und zwei 40 Meter hohe Türme, aus denen permanent Gasflammen zischen. Tag und Nacht wird das Gelände beleuchtet sein.
„Wie soll ich denn da noch eine 55prozentige Auslastung hinkriegen, die ich für die Witschaftlichkeit des Betriebes brauche?“, fragt Hühler. Immerhin 30 Leute stehen im Posthotel auf der Lohnliste. Und als Gegenleistung für staatliche Fördergelder mußte sich Gühler verpflichten, 18 Dauerarbeitsplätze zu garantieren.
„Es kann keinen Kompromiß geben zwischen Gasförderung und Tourismus“, lautet denn auch sein Motto am Freitag abend bei einer Veranstaltung, zu der der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) eingeladen hatte. Rund 40 Leute, vorwiegend Männer, drängen sich im Saal. Ein Landtagsbeschluß vom Vortag gibt der Veranstaltung unerwartete Brisanz: CDU und SPD hatten gefordert, daß die Erdgasförderung mit dem Tourismus „in Übereinstimmung gebracht werden muß“. Selbst der Usedomer Abgeordnete hatte sich dem Fraktionszwang gebeugt.
BUND-Sprecher Björn Schering spekuliert, daß das Land nicht auf den Förderzins verzichten will, der der Landeskasse bei der Gewinnung von Erdgas zusteht. „Die Gasförderung ist tatsächlich überflüssig“, meint er. Doch auf seine grundsätzliche Kritik am Energieversorgungssystem und am Naturverbrauch mag hier niemand eingehen. Es geht um Usedom. Und es geht um die Natur – aber nur insofern sie Touristen anlockt. 6.000 Jobs hängen vom Fremdenverkehr ab. Gaz de France will hingegen nur 19 Leute anstellen.
Im Saal ist von zivilem Ungehorsam die Rede. „Das haben wir doch 1989 schon einmal gemacht“, erinnert Jörg Wanke. Ricarda Horn von den „Inselfreunden“ schlägt gar Straßensperren vor. „Ja, die Brücken hoch“, greift jemand von hinten die Idee auf. Am nächsten Morgen erfahren die Besucher von Bansin per Schild: „Wir wollen keine Erdgasförderung.“
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