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Oh mein Gott, gleich hebt er ab

Grauenhafte Sportarten, mit denen uns das Fernsehen plagt (XVI): Das saugefährliche Hammerwerfen wirft Probleme auf – speziell unter beigen Hütchen  ■ Von Albert Hefele

Dort! Was dreht sich wie ein Kreisel?

Horch! Was stöhnt bis ins Falsett?

Tausend Kilo, die ihn reißen!

Tanzt ein Nilpferd denn Ballett?

DDer Dichter spricht und will uns etwas sagen. Ein Ding, ein Jemand dreht und schraubt sich um die eigene Achse. Dabei jammert er/es, als hätte er/es ein schlimmes Leiden. Mindestens Rückenschmerzen, wenn nicht Niere. „Tausend Kilo, die ihn reißen“. „Ihn“ – es ist also eine Person, eine männliche Person. Die ein nicht unerhebliches Gewicht mit sich zu führen scheint. Um sich zu schleudern scheint. Ein Gewicht, daß die Person dazu zwingt, zu tänzeln, zu trippeln: „Tanzt ein Nilpferd denn Ballett“ ...?

Nilpferd? Ein dickes Ding, das mit schweren Sachen um sich wirft. Weil wir wissen, daß es sich in dieser Abteilung eigentlich immer um Sport handelt, kann nur einer gemeint sein: der Hammerwerfer! Wieder einmal hat es der Dichter auf den Punkt gebracht.

Und er taumelt hinter Gittern,

Wird der Käfig gar sein Grab?

Nicht nur schwache Frauen zittern,

Oh mein Gott, gleich hebt er ab!

Genau so ist es. Selten hat sich eine Sportart Bahn gebrochen, die weniger Anmut ausstrahlt. Selbst gute Hammerwerfer vermitteln nicht den Eindruck, als würden sie ihre Disziplin souverän beherrschen. Der Athlet ist nicht der Meister seines Sportgerätes, sondern dessen hilfloses Anhängsel. Das erinnert an einen dieser armen Buben, die mit einem riesigen Hund spazierengehen müssen. Besser: sich von ihm spazierenführen lassen. Wie man durch den Ring torkelt, im Schlepptau der Zentrifugalkraft des Hammers (warum eigentlich Hammer?).

Wer schleudert hier wen? Das positivste, was über den Athleten zu sagen wäre, ist, daß dieser sein Sportgerät mit Respekt behandelt. Kein alter, langweiliger Kumpel, den man nachlässig hinter sich her schleift. Der Werfer balanciert den Hammer, der eigentlich eine Kugel ist, behutsam am langen Draht. Wie eine Bollenbombe, die ihm jeden Moment um die Ohren fliegen kann. Nur nicht aufwecken das unberechenbare Ding, nur nicht dran rühren! Und: immer die Füße abputzen, bevor man den Ring betritt. Sonst könnte er ärgerlich werden, der graue Kloß. Könnte sein Herrchen herumwirbeln, am Kragen packen und mit sich reißen. Hinauf, hinauf ... Keine Angst, ganz so gefährlich ist es natürlich nicht.

Doch was abhebt, ist die Kugel,

Stahlkomet mit Griff am Schweif.

Saust sie aus der Zentrifuge,

Neidvoll wird der Vogel bleich.

Es ist noch nie vorgekommen, zumindest nie ruchbar geworden, daß ein Hammerwurfhammer seinen Werfer entführt hätte. Der Werfer bleibt im Ring, die Kugel geht fliegen. Sagt man so? Wie auch immer: der Dichter hat den Moment wieder sehr schön eingefangen. Während der plumpe Mensch noch auf den Zehen wippt, die Arme sehnsuchtsvoll seiner stählernen Gefährtin nachreckend: „bleib doch, wir wollen uns noch etwas drehen ...“, geht diese fliegen. Nicht auf ewig, eigentlich nur kurz. So um die siebzig, achtzig Meter. Und doch: ganz schön für eine Eisenkugel. Was in ihr wohl vorgehen mag, in so einem Moment? In dem sie die Schwerkraft überwindet, den Maschendraht hinter sich läßt? Ihren Werfer, das immer kleiner werdende Männchen dort unten?

Natürlich freut sie sich. Endlich frei. Wahrscheinlich streckt sie ihm eine winzige metallene Zunge heraus. Wer weiß? Wer steckt schon drin? Vielleicht vermißt sie ihn auch, hat Sehnsucht nach seiner schwieligen Pranke. Schlenkert sie darum den drahtigen Schweif? Winkt der Hammerwurfhammer? Denkt er an sein elendes Dasein als Sportgerät? Tagelanges Herumliegen in muffigen Schuppen, nichts als die nervtötende Gesellschaft der ehernen Kameraden. Kein gutes Wort, keine Umarmung; ein rohes Aneinanderklacken, hin und wieder. Dann kann auch ein Sportgerät zum Tier werden und sich ein Opfer suchen. Dort unten. Warum immer nur im Dreck landen? Warum nicht auf einem dieser beigen Hütchen?

Bleich wird auch der Weitenrichter,

Der die Flugbahn spät errät,

Übrig bleibt ein kleiner Trichter,

Ob die Witwe Blumen sät ...?

Was der Dichter hier so flapsig formuliert, ist ein Problem. Mit Wucht geschleuderte Masseteile verfügen über eine nur schwer zu kontrollierende Eigendynamik. Wenn sie außer Kontrolle geraten und auf andere, ihnen an Dichte unterlegene, Gegenstände treffen, gibt dies ein häßliches Bild. Es ist ein Problem.

Im konkreten Fall das Problem der beigen Hütchen. Diese sind nicht allein auf der Welt, sondern treten nur in Verbindung mit dem Weitenrichter auf. Er verrichtet unter dem Hütchen sein schweres, langweiliges Amt und hat keinen Dank. Im Gegenteil: wenn er Pech hat, werden die Gegenstände, denen er seine Freizeit opfert, ihm zum Verhängnis. Diskus, Speer und Hammer. Harte Teile, spitze Teile, schwere Teile. Dabei ist die Vorstellung, von einem Diskus geköpft bzw. vom Speer durchbohrt zu werden, noch zu ertragen. Derart Verunglückten haftet die Großartigkeit altgriechischer Dramaleichen an. Eine akzeptable Tragödie. Weitaus akzeptabler jedenfalls, als zermanscht wie eine überfahrene Katze auf der Tartanbahn zu enden.

Die taz-Serie gibt es jetzt auch im Buchhandel – Albert Hefele: „Grauenhafte Sportarten“. Mit Illustrationen von Heribert Lenz und Achim Greser. Edition Tiamat, 128 Seiten, 24 DM.

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