: Eine Festwiese ohne Schausteller
Für den Elbpark Entenwerder sollen die Kirmesbudenbesitzer umziehen ■ Von Heike Haarhoff
Der dunkelblaue Schlitten biegt zackig um die Ecke. Wer ihm in dieser schmalen Feldweg-Einfahrt zum Wohnwagenplatz der Schau-steller an der Entenwerder Straße im Weg steht, ist gut beraten, zur Seite zu springen. „Ja“, dröhnt die Stimme, während deren beleibter Eigentümer sich aus der Karosse wuchtet, „ich bin der Sprecher hier von den Schaustellern von Entenwerder“. Wer ihren Platz betritt, bestimmt er.
So war das jahrelang, und so soll es nicht bleiben. Die 43 Schausteller-Familien müssen weg von hier. Und zwar „spätestens zum Winter-Dom im November“, sagt der Mann. Für 13,6 Millionen Mark verwandelt die Stadt die verwilderten Industrie- und Gewerbebrachen auf der Halbinsel Entenwerder an der Elbe in einen schmucken Park für den Stadtteil Rothenburgsort. Einweihung ist im Juni 1997.
Dort, wo Hamburgs Schausteller seit Jahrzehnten während der jahrmarktfreien Zeit ihre Kirmes-Wagen abstellen und sich nebenan im Wohnwagen mit Vordach, Veranda und Hängegeranien eingerichtet haben, ist auf den Plänen von Landschaftsarchitekten und Behörden die künftige „Festwiese“ für Stadtteilfeste, Sport- und andere Freizeitaktivitäten eingezeichnet. „Wir“, klagt die Platzwartin, „sollen dann direkt an die Autobahn“. Genauer gesagt auf die Fläche „Brennerhof“ in Moorfleet.
Man werde sich wohl fügen, sagen die Schausteller inzwischen. Längst hat der Senat seinen Beschluß gefaßt; der Stadtplanungsausschuß hat vorgestern dazu genickt. Die vereinzelten Protestkundgebungen im Ortsausschuß Veddel-Rothenburgsort blieben von den politischen Entscheidungsträgern unbeachtet.
Wer aber – und vor allem aus welcher Motivation – im vergangenen Frühsommer die 30 oder 40 Bäumchen und Sträucher, die die Umweltbehörde extra als gestaltende Elemente für den Park angepflanzt hatte, mutwillig bei Nacht und Nebel und in Kniehöhe absägte, bleibt ein Rätsel. War es blinde Zerstörungswut von ein paar Jugendlichen, wie die Polizei zunächst vermutete? Oder doch eine Protestaktion aus dem Stadtteil, der sich manchmal fragt, weshalb die alten, schiefen Bäume eigentlich nicht bleiben durften?
In das Konzept der Behörde paßten besser jüngere, weil entlang der geplanten Parkwege anpflanzbare Bäume. Ganz hübsch sieht es ja aus. Und die „überörtliche Bedeutung“ des Grünzugs entlang der Elbuferachse und der Bille, in den sich der Park laut Senatsdrucksache als „Glied in der Kette der Grünanlagen“ einfügen soll, will auch niemand bestreiten. Daß der Industrie-Stadtteil Rothenburgsort endlich eine öffentliche Erholungsfläche kriegen soll, wird begrüßt. Nur: Hat man nicht auch schon vorher am Wochenende gemütlich in Entenwerder gegrillt oder Fußball gespielt? Hätte ein weniger exklusiver Park es nicht auch getan? Dann, sagen manche, hätten vielleicht auch die Schausteller ihren Platz behalten können.
1960 hatte die Stadt Hamburgs Schaustellern die Brache in Entenwerder zugewiesen. Nach dem Wohnwagengesetz sollten sie hier ausnahmsweise siedeln dürfen, hieß es damals. Seitdem bewohnen sie den idyllischen Flecken auf der 17 Hektar großen Elbinsel, umgeben von Peute-Hafen, Müllverbrennungsanlage Borsigstraße, Kraftwerk Tiefstack und dem Industriegebiet Billbrook. Acht Mark Standgebühr zahlen sie zur Zeit pro Meter Wagen. So ganz genau aber nimmt das niemand, schmunzelt einer der Schausteller. Schließlich läßt sich nicht so einfach kontrollieren, wer wann da ist. Wie es künftig in Moorfleet wird, wissen sie nicht. „Wird bestimmt teurer“, sagt einer.
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