: Knisternde Erotik made in Rio
Sie produzieren Reizwäsche am Fließband und müssen sich jeden Abend einer intimen Körperkontrolle unterziehen: die Näherinnen von Rio ■ Von Astrid Prange
„Verführung – ein reines Vergnügen“. Mit diesem Werbeslogan verkauft die brasilianische Firma für Miederwaren DuLoren aus Rio de Janeiro ihre Unterwäsche. Die Werbung für die Reizwäsche ist gewagt. DuLoren schickte etwa zwei Lesben in Rüschen vor den Traualtar – eine Provokation im katholischen Brasilien. Eine andere doppelseitige Anzeige soll den Sieg von Lycra-Lingerie über hartgesottenen Rassismus demonstrieren. Während links ein verhülltes Mitglied des Ku-Klux-Klan mit einer Feuerfackel droht, posiert rechts eine Mulattin im roten spitzenbestückten Dessous. Zu ihren Füßen kniet der amerikanische Rassist, diesmal ohne Kapuze. Ungeniert grabscht der bleiche Jüngling zwischen die braunen Schenkel der Brasilianerin.
Im Gegensatz zu den polemischen Anzeigenkampagnen, die sich oftmals an der Grenze des guten Geschmacks bewegen, sind die Arbeitsbedingungen in der brasilianischen Textilbranche alles andere als fortschrittlich und verführerisch (siehe Kasten). Der Qualität von Slips oder Büstenhaltern aus Seide und Spitze tut das aber keinen Abbruch. Sobald die letzte Öse verankert ist, verwandelt sich das federleichte Dessous in eine unantastbare Zauberformel knisternder Erotik.
Dennoch, „die Arbeit an den Maschinen ist sehr hart“, weiß Edna de Almeida Portela, Aufseherin bei DuLoren. 900 Nähmaschinen sorgen in der Fabrikhalle für ohrenbetäubenden Lärm. Die Näherinnen arbeiten in gebückter Körperhaltung. Rücken- und Kopfschmerzen sind die unausweichliche Folge, weiß Edna de Almeida Portela. Die 54jährige arbeitet seit dreißig Jahren in dem Lingerie-Unternehmen. Die erotische Anziehungskraft der dehnbaren Dessous leidet jedoch nicht unter den gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen. „Ich bemitleide die Frauen nicht, sondern weiß ihre schweißtreibende Arbeit zu schätzen“, erklärt die Vorarbeiterin. Je komplizierter ein Modell sei, desto mehr werde den Frauen abverlangt. „Oft sind für einen BH mehr als 30 verschiedene Arbeitsgänge notwendig.“ Die Kundinnen müßten dies eben einfach anerkennen.
Jandira da Penha Pereira steht seit 21 Jahren an der Nähmaschine. Sie erklärt sich die Anziehungskraft von Bodies und Büstenhaltern durch die ständigen Neuauflagen der Modelle: „Es hört nie auf. Ein Teil ist immer noch schöner und besser als das andere“. Jandira da Penha Pereira trägt am liebsten Unterwäsche in Schwarz und leuchtendem Rot. Die Stückpreise liegen bei zwanzig Mark und mehr. Leisten kann sich die 36jährige das nicht. Sie kauft die Modelle von DuLoren auf firmeneigenen Basaren, wo fehlerhafte Einzelstücke zu Billigpreisen an die Arbeiterinnen verramscht werden.
Was Formen und Farben der Reizwäsche angeht, so ist Rio de Janeiro die Schnittstelle für ganz unterschiedliche Schönheitsideale in Brasilien. „In Rio, São Paulo und im Nordosten verkaufen wir Tangas in kräftigen Farben“, erläutert Marketingstrategin Maria do Socorro von der Firma DeMillus. „Im Süden Brasiliens achten die Frauen dagegen mehr auf Bequemlichkeit. Tangas sind hier nicht angesagt.“ Der europäisch geprägte Süden Brasiliens paßt sich somit dem Schönheitsideal der alten Welt an, während die Mehrheit der Brasilianerinnen Erotik wichtiger findet als Bequemlichkeit.
„Brasilianerinnen suchen in der Regel nach enganliegenden, knappen Dessous, um ihre Formen zu betonen“, versichert dagegen Denise Areal, Modeschöpferin bei DuLoren. Die 34jährige weiß, daß in Brasilien damit in erster Linie ein wohlgeformtes Hinterteil gemeint ist. „Nicht auf den Busen, sondern auf den Po gucken die Männer zuerst“, erklärt sie. Die von ihr entworfene Unterhose „Derrière“, die mit einer Stoffeinlage den weiblichen Allerwertesten festigt und vergrößert, ist in Brasilien ein Verkaufsschlager. Bei Büstenhaltern hat sich Denise Areal auf eine Tradition aus dem alten Ägypten besonnen. Sie entwickelte ein Oberteil ohne Körbchen. „Die Frau schwört, sie ist ohne BH“, schwärmt sie. „In Wirklichkeit wird der Busen durch eine unsichtbare Stütze in Form gebracht.“ Wie eine Frau sich Intimwäsche in ihren geheimsten Phantasien ausmalt, kann nur eine Frau erahnen, ist Denise Areal überzeugt. „Der Mann genießt Sinnlichkeit, doch er ist unfähig, sie zu kreieren“, meint die Modeschöpferin.
Männer, so ihre Überzeugung, könnten nie auf die Idee kommen, den Beinausschnitt einer Unterhose so zu vergrößern, daß dadurch die Beine optisch verlängert werden. Männliche Designer schafften es eben nicht, aus der eigenen Haut, aus dem eigenen, eher quadratischen Körper zu schlüpfen. Frauen hingegen, so weiß die Modeschöpferin, wüßten genau, was sie verstecken und was sie hervorheben wollten. Die Sehnsucht nach Sinnlichkeit kollidiert ihrer Ansicht nach nicht mit dem Recht auf Gleichberechtigung. Im Gegenteil. „Mit dem massiven Eintritt der Frauen in den Arbeitsmarkt hat die Nachfrage nach sinnlich-erotischer Lingerie enorm zugenommen“, ist ihre Erfahrung nach zehn Jahren Arbeit.
Diese mit aufwendigen Werbekampagnen erzeugte Begierde nach Verführung entlarvt sich in den lärmerfüllten Fabrikhallen von Rios Lingerieunternehmen jedoch täglich als Farce. Nach Feierabend müssen die Näherinnen eine entwürdigende Prozedur über sich ergehen lassen. Bei DuLoren werden sie gezwungen, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Gefahndet wird dabei nach gestohlenen Dessous. In der Firma erworbene Slips oder BHs werden mit einem Stempel versehen. Bei DeMillus müssen sich die Arbeiterinnen sogar ganz entblößen. Firmeneigene Unterwäsche darf nur getragen werden, wenn der Kauf durch eine Quittung belegt ist.
Im Herbst 1989 demonstrierten Abgeordnete, Gewerkschafterinnen und Feministinnen vor den Fabriktoren von DeMillus gegen diese Demütigung. Büstenhalter und Höschen des größten brasilianischen Miederwarenherstellers gingen in Flammen auf. Mit einer einstweiligen Verfügung erzwangen sich Vertreterinnen des Frauenrates Cedim aus Rio Zutritt zur Fabrik und fotografierten die intime Leibeskontrolle in allen Einzelheiten. Ein Jahr danach wurde DeMillus wegen Mißachtung des Grundrechts auf den Schutz der weiblichen Intimsphäre in erster Instanz zu einer Geldstrafe von rund zehn Millionen Mark verurteilt. In zweiter Instanz sprach ein Richter die Firma jedoch wieder frei. Der letzte Einspruch vor dem Verfassungsgericht in der Hauptstadt Brasilia verjährte, weil die Staatsanwaltschaft den Fall verschleppte.
„Bis ein Rechtsanwalt den Fall mit Hilfe einer neuen Zeugin noch einmal aufgreift, mißachtet die Firma die arbeitsrechtlichen Vorschriften weiterhin“, sagt Rechtsanwältin Rosane Reis Lavigne vom Frauenrat Cedim. „Damals haben wir die Bevölkerung zum Boykott von DeMillus aufgerufen“, erinnert sich der Vorsitzende der Gewerkschaft für Schneider und Näherinnen, Antonio Ernesto. Doch niemand boykottierte die Reizwäsche. Ernestos Fazit: „Die Verletzung von Arbeitnehmerrechten ist in Brasilien so alltäglich, daß sich die wenigsten darüber aufregen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen