: Kein wackliger Grund mehr für Denkmäler
■ Ein Jahr nach Inkrafttreten des neuen Denkmalschutzgesetzes wird eine positive Bilanz gezogen. Neu eingerichtete Denkmalsämter in Bezirken haben mehr Eingriffsmöglichkeiten
Noch kennt Siegfried Roick nicht jedes Baudenkmal in Charlottenburg. Doch über Arbeit kann sich der Leiter der „Unteren Denkmalschutzbehörde“ nicht beklagen. Seitdem im Mai vergangenen Jahres das Denkmalschutzgesetz novelliert wurde, wurden nach Ostberliner Vorbild auch in den Westbezirken bezirkliche Denkmalämter eingerichtet. Die Pflege der 740 Denkmäler in Charlottenburg obliegt seitdem Siegfried Roick. Zwei Bauanträge pro Tag landen auf seinem Schreibtisch. „Zumeist handelt es sich um geplante Dachgeschoßausbauten“, sagt Roick, „bei denen geprüft werden muß, ob die geplante Gaube zu groß oder nachempfundene stilisierende Elemente dem Denkmal schaden würden.“
Für den obersten Hüter der Baudenkmäler, den Landeskonservator Helmut Engel, war die Novellierung des Denkmalschutzgesetzes im Mai 1995 nebst Bildung eines Landesdenkmalamtes ein „Sprung an die Spitze der Entwicklung“. In der Tat stehen die Berliner Denkmäler nun weniger auf wackligem Grund als zuvor. Über 10.000 Objekte wurden mit der Neufassung des Gesetzes in die Denkmalliste aufgenommen. Zuvor waren es nur 2.000 Gebäude gewesen, weitaus weniger Bauten also, die man für denkmalwürdig hielt. Mit der Novellierung war aus dem „Angstfall Denkmal“, wie es der frühere Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer gesagt hatte, eine Rechtsposition geworden. Nicht mehr die Frage, ob ein Gebäude unter Schutz zu stellen war, stand von nun an im Vordergrund, sondern wie man die geschützen Gebäude vor denkmalfeindlichen Eingriffen wahrt.
In Neukölln hat Klaus-Dieter Dahms als Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde diese Aufgabe übernommen. Erfolgreich verhinderte er, daß die BVG auf allen U-Bahnhöfen die alten Kacheln abschlug.
„Zwar läuft in den Westbezirken noch nicht alles reibungslos“, resümiert Landeskonservator Engel, „aber im Grunde ist das Verfahren jetzt sehr viel einfacher.“ Das bestätigt auch Eva-Maria Eichler. Noch vor zwei Jahren mußte die Leiterin der Unteren Denkmalschutzbehörde in Mitte Alarm schlagen. Durch 180 Abrißanträge waren in der Boomtown Mitte auch zahlreiche Baudenkmäler bedroht. „Damals war es sehr schwierig, die Fachbehörde davon überzeugen, ein Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen“, erinnert sich Eichler. Heute gebe es deutlicher weniger Konflikte. „Wir haben den Vorteil, daß viel mehr Gebäude erfaßt sind und daß es von vorneherein Klarheit darüber gibt, ob ein Gebäude unter Denkmalschutz steht.“
Zwar hat die Fachverwaltung, die beim Senator für Stadtentwicklung angesiedelte obere Denkmalschutzbehörde unter Leitung von Jörg Haspel, in Sachen Denkmalplfege immer noch ein gehöriges Wort mitzureden, da bei jedem Vorgang „Einvernehmlichkeit“ zwischen bezirklicher Denkmalbehörde und dem Landesamt für Denkmalschutz erzielt werden muß. Doch in Mitte werden jetzt schon 90 Prozent der Entscheidungen selbst gefällt. Diverse Verwaltungsvorschriften, die die Frage der Einvernehmlichkeit regeln, machen es möglich.
Landeskonservator Engel möchte die Verwaltungsvorgänge sogar noch weiter verschlanken: „Wir arbeiten derzeit an einer Rahmenrichtlinie“, sagt er, „mit der es den Bezirken selbst überlassen bleibt, über Fragen wie Gebäudeanstriche oder das Auswechseln von Fenstern zu entscheiden.“
Im Streitfall freilich spricht der Landeskonservator das letzte Wort. „Wenn es konkurrierende öffentliche Interessen gibt“, sagt Engel, „muß abgewogen werden.“ Ein solcher Streitfall könnte bald wieder ins Haus stehen, wenn, wie beabsichtigt, etwa das Schimmelpfeng-Haus an der Kantstraße abgerissen werden soll. Während Charlottenburgs Denkmalschützer Siegfried Roick einem Abriß ablehnend gegenübersteht, hat „Denkmalschutzsenator“ Peter Strieder (SPD) bereits signalisiert, daß man in Sachen Denkmalschutz auch mal ein Auge zudrücken könne. Landeskonservator Engel sieht dem jedoch gelassen entgegen: „Bevor da entschieden wird, müssen die verschiedenen Interessen erst einmal formuliert werden.“ Uwe Rada
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen