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Nach Kahlschlag ein Schlaraffenland für Arbeitgeber

■ In Großbritannien herrscht nach 17 Jahren Tory-Regierung der Markt. Die Löhne sind niedrig, die Arbeiter willfährig, und die Macht der Gewerkschaften ist passé

Im Grunde genommen kann man alles deregulieren, wenn man will: den öffentlichen Nahverkehr, Löhne, Ladenschlußzeiten, Schulinspektoren und sogar Preisbindung bei Büchern. Großbritannien ist das beste Beispiel dafür: Im Zuge des Kampfes gegen einheimische Bürokraten und ihre Brüsseler Geistesverwandten, die angeblich die Länge der Gurken und die Biegung von Bananen festlegen wollen, sind Regeln und Vorschriften durch die freien Kräfte des Marktes ersetzt worden.

Obwohl 71 Prozent der Vorschriften, die das britische Leben täglich regeln, seit Machtantritt der Konservativen vor 17 Jahren eingeführt worden sind, hat die Regierung es mit verschiedenen Maßnahmen geschafft, der Bevölkerung das Gegenteil vorzugaukeln. So hat sie das Monopol der roten Doppeldeckerbusse abgeschafft; statt dessen kämpfen jetzt die privaten Unternehmen mit ihren bunten „Hoppas“, „Badgers“, „Metros“ und „Nippas“ um ein Stück vom Kuchen. Die Konsumenten dürfen sich freier fühlen als je zuvor: Die Ladenöffnungszeiten sind dereguliert, man kann jederzeit einkaufen – außer am Weihnachtstag.

Die VerkäuferInnen sind ebenfalls dereguliert. 1992 hat die Regierung den Rat für Lohnfragen abgeschafft, seitdem ist Großbritannien das einzige Land in Europa ohne Mindestlohn. Das freut Arbeitgeber und „Enterprise Britannien“, das mehr ausländische Investoren anlockt als jedes andere EU-Land, weil die Löhne niedrig und die Arbeiter willfährig sind.

Da gibt es dieses Fast-Food-Restaurant in Glasgow, wo ein Angestellter ein Pfund für eine Fünfstundenschicht bekam. Sein Arbeitgeber hatte ihn zur Teilzeitkraft gemacht: Er wurde nur bezahlt, wenn der Laden voll war. Ein anderer hat vorige Woche einen Prozeß gegen seine Firma gewonnen, die ihn hinausgeworfen hatte, weil er sich für die Geburt seines Kindes freigenommen hatte.

Auf Thatchers Sieg über die Bergarbeiter und die Stahlkocher folgte eine Privatisierungswelle und der Niedergang der Gewerkschaften. Selbst der Gesundheitsdienst ist in Distrikte aufgesplittet worden, die um die Kundschaft konkurrieren müssen. Kollektive Lohnverhandlungen gehören der Vergangenheit an, Krankenschwestern suchen sich den Distrikt aus, der am besten bezahlt.

Schon die Kleinsten lernen den Wert der freien Marktkräfte: Die Vorschriften für den Nährwert der Schulmahlzeiten sind abgeschafft worden. Man hatte sie zur Jahrhundertwende eingeführt, damit sich die SchülerInnen auf den Unterricht konzentrieren konnten und nicht durch knurrende Mägen abgelenkt wurden. Heute muß man Glück haben und eine Schule erwischen, die es nicht für unökonomisch hält, mittags eine warme Mahlzeit zur Verfügung zu stellen. Die Schulinspektoren sind längst privatisiert und müssen den Schulverwaltungen und Behörden beweisen, daß sie ihr Geld wert sind. Die Lehrkräfte, deren Rat für Gehaltsfragen von John Major abserviert wurde, sind als nächste dran.

In Großbritannien wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der Wohlfahrtsstaat eingerichtet, der die Untertanen von der Wiege bis ins Grab betreute. 50 Jahre später, nach 17 Jahren Tory-Regierung, hat der Staat sich so weit zurückgezogen, daß es den Aktionären und den Marktkräften obliegt, das Leben der Bürger zu regulieren. Isobel Montgomery, London

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