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Essen für die Hoffnung

■ Ein Menü für 888 Mark füllt die leere Wahlkampfkasse des grünen Oberbürgermeisterkandidaten Rezzo Schlauch in Stuttgart

Stuttgart (taz) – Unten in der Stadt erinnerte US-Außenminister Warren Christopher an die „Speech of hope“ – die Rede der Hoffnung vor genau 50 Jahren in Stuttgart. Oben auf der Höhe, auf der „Wielandshöhe“, zerkauten zur selben Zeit 25 Schwaben sichtbar zufrieden Perlhuhnbrust mit frischen Pfifferlingen. Im Restaurant von Vinzent Klink (Sternchen, Sternchen, Sternchen) gab es am vergangenen Freitag ein „Dinner of hope“ – ein Essen der Hoffnung für Rezzo Schlauch, der die Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl am 20. Oktober als Kandidat der Grünen gewinnen will.

Der Preis für das viergängige Mittagsmenü war alles andere als bescheiden: pro Person 888 Mark. Acht Mark für die Bedienung, achtzig für den Koch und achthundert für die leere Wahlkampfkasse des Rezzo Schlauch. Denn weil seine Gegner von CDU und SPD über einen Etat von jeweils zirka 400.000 Mark verfügen und Schlauch gerade einmal ein Zehntel davon sein eigen nennen kann, ließ sich der grüne Kandidat von einem Werbegrafiker zum Sponsordinner überreden.

In Stuttgart, wo man noch immer Maultaschen für die Krönung der Küche und acht Mark siebzig als teuer erachtet, ein gewagtes Unterfangen. Prompt reagierte die Junge Union und schimpfte: „Geschmacklos“. Die CDU werde dort die Wahl gewinnen, „wo man Spätzle ißt“. Der moralische Aufschrei ist allerdings nichts anderes als die Angst, Rezzo Schlauch könnte tatsächlich im konservativen Lager Stimmen fangen. Denn der CDU-Kandidat Wolfgang Schuster ist nicht besonders populär. Wenn Schlauch darum auf Wahlveranstaltungen witzelt, „wenn ich in der CDU wäre, würde ich schon im ersten Wahlgang gewinnen“, hat er so unrecht wohl nicht.

Wenn die Bewerbungsfrist für das Stuttgarter Bürgermeisteramt Ende September abläuft, wird wohl ein neuer Rekord aufgestellt sein: Schon heute haben sich über 30 Oberbürgermeisterkandidaten für die Wahl gemeldet, ein zweiter Wahlgang wird wohl unumgänglich sein. Schlauch, der schon bei der Wahl vor sechs Jahren gegen Rommel über 20 Prozent der Stimmen bekam, ist für SPD und CDU der eigentliche Angstgegner. Ihn als unkalkulierbares Risiko und Bürgerschreck darzustellen, ist seit Freitag nun noch schwerer geworden, wo Schlauch vor den Augen eines Stern-Fotografen bewies, wie geschickt er mit Messer und Gabel essen kann.

Die Terrine von Gemüse und Limousin-Tafelspitz, die Artischockensuppe mit Seezungenklößchen und das Perlhuhnbrüstchen mit den leckeren Pfifferlingen, ganz zu schweigen vom Nougatparfait mit eingekochten Zwetschgen, lösten die anfängliche Beklemmung, die unter den Gästen herrschte. Manch einer traute sich wohl nicht so recht, zuzulangen bei soviel Medienpräsenz, und so berichtete denn auch der Initiator des großen Essens, Urs Schwerzmann, davon, daß sich unerklärlicherweise viele der Angeschriebenen „entschuldigt“, dennoch aber einen ordentlichen Betrag auf das Wahlkampfkonto von Schlauch überwiesen hätten.

Immerhin kamen auf diese Weise mehr als 20.000 Mark für „uns Rezzo“ zusammen. Vielleicht mag der Erfolg das klassische grüne Wählerpotential beruhigen, vor dessen Kritik sich Schlauch noch bei der Suppe fürchtete. „Man muß auch jönnen können“, beruhigte ihn der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Schmitt, der als lebensfroher Rheinländer zum Essen abdelegiert wurde, um den verkniffenen Schwaben das schlechte Gewissen zu nehmen.

Unter den Gästen dominierte die Werbebranche, gefolgt von der des Films, und sogar ein veritabler Wirtschaftsanwalt saß dabei und tafelte. Man sprach über Havannas und Wahlkampfplakate, Rezzo ging von Tisch zu Tisch und war spätestens beim Trollinger Rose, Wielandshöhe Eigenbau „als guter Grüner“ nur noch hin- und nicht mehr hergerissen. Philipp Maußhardt

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