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Tiroler auf der Talfahrt

Im Lechtal tobt der Streit: Wieviel Fortschritt verträgt die Landschaft? Pfarrer gegen Bürgermeister, Ökos gegen Kraftwerksbauer  ■ Aus dem Lechtal Philipp Maußhardt

Man sieht es dem Lech in diesen Tagen nicht an: Gemächlich schlängelt sich der Fluß durch sein breites Bachbett. Doch im Frühsommer, wenn auf den Höhen der Tiroler Berge die Schneeschmelze eintritt, zeigt sich der wilde Geselle. Grollend stürmt er zu Tale, Baumstämme und Geröll mit sich reißend, die seine vielen Nebenflüsse aus den Seitentälern des Gebirges heruntertransportieren. Millionen Tonnen von Geröll bewegt dieser letzte Wildfluß der Nordalpen jedes Jahr, und nach jeder Schmelze sieht sein Flußbett anders aus: Kiesbänke und Aulandschaften verschwinden und entstehen, ganz wie es ihm gefällt.

Daß der Lech als letzter großer Fluß im Nordraum der Alpen nicht das Schicksal seiner Genossen teilt, die, eingebettet und kanalisiert auf schnellstem Wege zur Donau fließen, ist eher Zufall als Planung. Das obere Lechtal galt lange Zeit als unterentwickelt, abgeschnitten vom übrigen Österreich durch hohe Pässe und schlechte Straßen. So konnte sich erhalten, was heute der Österreichische Alpenverein als „einmalig in den Nordalpen“ bezeichnet und vom World Wide Fund (WWF) Österreich darum als „besonders schutzwürdig“ eingestuft wird. Daß man die Öko-Oase überhaupt schützen muß, liegt an der Begehrlichkeit seiner Bewohner. Die ehedem so vergessenen Lechtaler Bauern sind keine armen Leute mehr, seit die Touristen kamen. Der neue Reichtum ist sichtbar: Durch das Tal führt eine überdimensionale Straße, bald jeder Feldweg ist geteert, und der ehemalige Alpensteig hinüber ins Inntal wurde motorgerecht ausgebaut. Entlang der Strecke stehen statt kleiner Gasthäuser mit niederen Bauernstuben Alpenhotels mit Erlebniswert. In manchen Dörfern kommt man nur noch unter Lebensgefahr über die Straße. An Sonntagen fahren bis zu 5.000 Motorradfahrer durch das Tal.

Nun gilt der nächste Angriff den unzugänglichen Seitentälern des Lechs. Das Elektrizitätswerk Reutte plant ein Staudammprojekt am Streimbach und ließ vorsorglich in 13 weiteren Seitentälern ähnliche Anlagen prüfen. In das enge Streimbachtal soll ein 23 Meter hoher Staudamm gegossen werden, die Zufahrt für die Baufahrzeuge wird, wie bei einer Wendeltreppe, kreisförmig in den Fels gesprengt. Die Pläne sind fertig, die Kosten errechnet und Bürgermeister, Bauingenieure und Landeshauptmänner nicken schon zustimmend mit dem Kopf. Durch das Kraftwerk würde der Streimbach fast völlig trockengelegt. Schon sein Nachbarfluß, der Rotlech, ist, seit sein Wasser in Röhren talwärts geleitet wird, kein wildes Gebirgswasser mehr. Die Folge: Seitenflüsse führen keinen Schotter mehr ins Tal, der Lech gräbt sich tief ein, der Grundwasserspiegel sinkt, Auwälder sterben ...

In der „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Lechtal“ haben sich Umweltverbände und besorgte Talbewohner jetzt zusammengeschlossen, um den Staudamm zu verhindern. Im Herbst will die Tiroler Landesregierung in Innsbruck über den Kraftwerksbau entscheiden. Steeg ist der letzte Ort im oberen Lechtal und Pfarrer Karlheinz Baumgartner sein Hirte. „Wenn die das wirklich machen, wenn die den Staudamm bauen, dann kette ich mich dort an“, sagt er. Stanzach ist der verkehrsbelastetste Ort im Lechtal und Bürgermeister Alfred Schwarz sein König. „Wenn der das wirklich macht, wenn der sich dort ankettet, dann sollte man ihn fluten“, sagt er. „Denn der Naturschutz“, da ist sich Bürgermeister Schwarz mit manchen seiner Bauern ganz einig, „ist doch nur eine Zeitgeisterscheinung.“

Ein Zeitgeist, der auch die deutschen Nachbarn jenseits der Grenze angesteckt hat. Im Allgäu haben Kunden der Elektrizitätswerke Reutte eine Bürgerinitiative gegründet, um gegen die Ausbaupläne im Lechtal zu protestieren. Das tut den Stromern weh. Denn dort hat Reutte heute schon mehr Kunden als im Tiroler Außerferner Gebiet.

Zudem macht der „Zeitgeist“ auch schon länger nicht mehr Urlaub im Lechtal. Trotz der einladenden breiten Straßen und der ausladenden Speisehallen bleiben seit Jahren die Touristen weg. Die Übernachtungszahlen in der Ferienregion „Außerfern“ sind auf das Niveau von 1980 zurückgefallen, viele Zimmervermieter haben ihre Gästebettwäsche eingemottet und Marketingstrategen suchen nach Auswegen aus der Krise mit „Mähwettbewerben der Jungbauernschaft“ oder „radsportlichen Mega- Events“. Die Lokalzeitung Außerferner Nachrichten klagt: „Nur noch Billiggäste, die auch noch über die Preise nörgeln.“ Die Wanderer, die in der Stille der Bergtäler ihre Erholung suchten, sind längst in ruhigere Gegenden abgewandert.

Der Zusammenhang von Straßenbau, Dorfsanierung und Tourismusflaute ist vielen Lechtalern unbegreiflich. Schon wird in der Not wieder nach Baumaschinen gerufen – Radwege sollen asphaltiert, die Skilifte verlängert werden.

Rettung verspricht sich die „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Lechtal“ nun von der Europäischen Union. Dort hat der WWF eine Beschwerde gegen die Republik Österreich eingereicht, die EU- Naturschutzrichtlinien zu mißachten. Die gelten seit 1995 auch in Österreich und hätten im Fall des Lechtals zu einer Meldepflicht bis zum 1. Juni 1995 im Rahmen des EU-Programms „Natura 2000“ führen müssen, sagt der WWF. Doch das Land Tirol zögerte bislang, denn die Meldung nach Brüssel hätte Folgen. Erst vor kurzem wurde Österreich aufgefordert, ein Naturschutzgebiet in der Steiermark „nachzumelden“.

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