: Umsonst baden? Ja. Atomkraft? Nein.
■ In Gifhorn umwirbt die „Junge aktive Meinung“ die 5.000 ErstwählerInnen
Gleich nebenan hat die SPD ihren Stand aufgebaut. Die Volksmusik der sozialdemokratischen Blaskapelle übertönt die KandidatInnen der „Jungen aktiven Meinung“ (J.A.M) in der Gifhorner Fußgängerzone um ein Vielfaches. Die machen keine Musik, sondern verteilen ihre J.A.M-Bonbons und sprechen Jugendliche an. Die Initiative tritt bei den niedersächsischen Kommunalwahlen mit neun KandidatInnen für den Gifhorner Kreistag sowie verschiedene Gemeinderäte an und ist die einzige Liste von Jungen für Junge.
Die Herabsenkung des Wahlalters auf 16 war Anlaß für die Gründung – mit „Wählen ab 16!“ werben auch die fünf Frauen und vier Männer im Alter zwischen 19 und 26 Jahren. Der Wahlkampf ist professionell: 5.000 Rundschreiben wurden an die Erstwähler verschickt, 10.000 Plakate geklebt. Das Info-Mobil, ein alter Hanomag-Kastenwagen, hat den gleichen weinroten J.A.M.- Schriftzug wie die Faltblätter, die Kugelschreiber und die T-Shirts, die die KandidatInnen tragen.
„Die Interessen von Jugendlichen müssen endlich durchgesetzt werden“ – so lautet das Hauptargument von J.A.M. Schließlich entscheiden nicht nur im Gifhorner Rat und Kreistag Politiker, die ein Durchschnittsalter von 50 Jahren haben. Die Anliegen sind konkret: Ein großer Badesee in der Nähe soll kein Kassenhäuschen bekommen: „Freier Eintritt für den Tankumsee“, fordert J.A.M-Kandidat Oliver Ohm. Schließlich sei der Mangel an Jugendfreizeitmöglichkeiten nicht nur hier auf dem Land chronisch. Die Jungwählerinitiative will mehr Jugendtreffs, Förderung von Musikgruppen und Jugendverbänden, Bahnen für Rollerskating, Unterstützung von Jugendwohngruppen sowie eine „Jugendverträglichkeitsprüfung für alle öffentlichen Vorhaben“. Letzteres wäre für Oliver zum Beispiel beim Bau des neuen Jugendzentrum dringend notwendig gewesen: „Das ist mit seinen Gardinen und geweißten Wänden steril wie ein Altencafé.“ Die J.A.M.-KandidatInnen stammen zum Teil aus einer Gruppe, die vergeblich um einen neuen Jugendtreff gekämpft hat, ein anderer Teil hat sich bei der Naturfreundejugend schon länger mit Kommunalpolitik beschäftigt.
J.A.Ms allgemeinpolitische Anliegen richten sich vor allem gegen ein Atommüllager in Waddekah im nahen Sachsen- Anhalt. J.A.M. fordert den Ausbau alternativer Energien und einen preiswerten öffentlichen Nahverkehr.„Vor allem die Grünen sehen uns deshalb auch als Konkurrenz“, so Oliver Ohm, der auf drei Sitze im Kreistag oder gut fünf Prozent hofft.
Doch der Straßenwahlkampf ist mühsam. Bonbons wollen alle; bei Debatten wird es schon schwieriger. Auf die Forderung nach mehr Jugendtreffs und Busverbindungen will sich eine 18jährige nicht einlassen: „Ich habe ein Auto, damit komme ich überall hin.“ Eine andere, 16 Jahre alt, mit dunklem Teint, will zwar auf jeden Fall wählen – weiß aber noch nicht was oder wen. „Vor ein paar Wochen wußten viele 16- und 17jährige noch gar nicht, daß sie wählen dürfen“, erzählt die 19jährige J.A.M.lerin Diana Bröcker, die die langen blonden Haare zu einem Zopf gebunden hat. Inzwischen seien die meisten Jugendlichen zumindest über ihr Wahlrecht informiert. „Aber von den Parteien wissen viele Jugendliche immer noch fast gar nichts.“ Selbst Diana findet es nur bei Kommunalwahlen richtig, daß 16- und 17jährige wählen dürfen. „Da können die Jugendlichen bestimmen, was sie in den Gemeinden wollen. Das ist praxisnah.“
Auf ihr neues Recht sind die Jugendlichen ziemlich stolz: „Eigentlich ist das ganz gut“ – so oder so ähnlich lautet die Antwort der meisten. Politischen Fragen folgt aber dann oft ein verlegenes Lächeln oder ein Achselzucken. Und die großen Parteien? „Die machen Wahlkampf wie immer“, meint die J.A.M.-Kandidatin vorwurfsvoll. Die Probe aufs Exempel kann man gleich nebenan bei der SPD machen: „Wir haben hier natürlich den Wählerbrief, der das Wahlverfahren erklärt“, meint SPD- Ratsfrau Karin Arnecke. Aber spezielles Informationsmaterial für 16-, 17jährige, das gäbe es nicht. Jürgen Voges, Gifhorn
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