Elder Statesmen unter sich

In der Elefantenrunde der Haushaltsdebatte reagiert Helmut Kohl gelassen auf die Kritik der Sozialdemokraten. Nur einer greift den Kanzler richtig an und wird ihm immer ähnlicher: Joschka Fischer  ■ Aus Bonn Dieter Rulff

Bonn (taz) – „Ein kluger Kanzler hätte die Haushaltsdebatte benutzt, um eine Regierungserklärung unter dem Titel ,Wille zur Gerechtigkeit, Wege zum Fortschritt‘ abzugeben.“ Rudolf Scharping ließ gleich zu Beginn der gestrigen Bundestagsdebatte über den Haushalt 1997 keinen Zweifel daran, wem es seiner Meinung nach an der erforderlichen Klugheit für sein Amt mangelt. „Wir wollen nach 1998 Deutschland regieren“, sprach er denn auch im Namen der SPD. Womit die Frage, wer der klügere, der künftige Kanzler ist, zwar noch ausgeklammert blieb, doch die Halbzeitbilanz der Regierung Kohl gab Anlaß genug, den Anspruch anzumelden.

„Ein mutiger Kanzler würde sagen“, schloß Scharping, „so können wir nicht weitermachen.“ Das zu sagen, ist für einen Mann wie Helmut Kohl allerdings keine Frage des Mutes, das So-können- wir-nicht-weitermachen gehört zur auch von ihm gepflegten parlamentarischen Standardrhetorik. Nur verbindet er damit ganz andere Vorstellungen, was zu geschehen hat und was die „Themen an der Schwelle des 21. Jahrhunderts“ (Kohl) sind.

Der Haushalt 1997, der Anlaß der Debatte, gehört auch für ihn nur am Rande zu diesen Themen. Auch wenn die jetzt schon abzusehende Überschuldung an der Einhaltung der Maastrichter Stabilitätskriterien zweifeln läßt. Was den Kanzler mehr verdrießt, ist die absehbare Blockade der nun anstehenden Gesetzesvorhaben des zweiten Teils des Sparpaketes. Den ersten, die Reduzierung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen und die Lockerung des Kündigungsschutzes, kann er am morgigen Freitag noch gegen die Opposition durchstimmen lassen. Doch dann droht Stagnation oder die mühselige Kompromißfindung mit den Sozialdemokraten, deren Parteivorsitzender Lafontaine ihm gerade noch attestierte: „Wer die Vermögenssteuer abschaffen will und das Kindergeld nicht erhöht, gehört abgewählt.“ Der Vorwurf, die Kindergelderhöhung letztendlich zugunsten eigener Machtinteressen zu verschleppen, ist ein Stachel, der tief im christdemokratischen Fleisch sitzt. Das läßt den Kanzler auf der Regierungsbank erröten und fahrig in seinen Unterlagen kramen.

„Die große Mehrheit wird die Maßnahmen im einzelnen zwar ablehnen, in der Summe die Veränderung aber für notwendig erachten.“ Da redet Kohl mehr zu der eigenen als zu den Oppositionsparteien. In sich selbst ruhen und Zuversicht ausstrahlen, das war schon immer seine Stärke. Das macht ihm keiner nach – doch einer wird ihm immer gleicher. „Wenn ich mir ihre Halbzeitbilanz anschaue, gibt es keinen Grund für oppositionelle Verzagtheit.“ Da redet Joschka Fischer nicht nur zu den Grünen, sondern auch zu den Sozialdemokraten. Und wie der eine gönnerhaft darauf abhebt, daß nun die große Stunde für die SPD gekommen sei, um über den richtigen Weg zu streiten, so räsoniert der andere, ganz Elder statesman, über „den strategischen Großfehler“ des Kanzlers, „nachdem Sie die Chance der Einheit genutzt haben“. Kohl ist von diesem Lob genauso eingenommen wie er über die Belehrung verdutzt ist. Der Großfehler, so Fischer, habe darin bestanden, zu denken, das Modell BRD ließe sich auf den Osten übertragen. Aus Gründen des Machterhalts sei die Einheit über Schulden und nicht über höhere Steuern finanziert worden.

Die gleiche Mischung aus Lob und Schulmeisterei mündet in der Frage, wo „der große Europäer“ Kohl denn gewesen sei, als sich Biedenkopf wegen der VW-Subventionen mit der Europäischen Union anlegte. Auch wenn er sich gegen ihn richtet, der Stil gefällt dem Kanzler. Er teilt die Neigung zum vernichtenden Spott, mit der er Scharping „den freundschaftlichen Rat“ gibt, sich seine Zwischenfrage nochmals zu überlegen und ihm eine Antwort schuldig bleibt, und mit der sich Fischer über den Innenminister mokiert, der wie ein Huhn auf dem Ei des Versorgungsberichtes brütet, der die Finanzplanung auf den Kopf stellen würde.

In einem ist Fischer an diesem Debattentag dem Kanzler gar voraus. Wenn dieser die Frage nach den dramatischen Veränderungen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert stellt, so vermag der Grüne darauf zwar auch keine Antwort zu geben, kann sie jedoch präzisieren: „Was ist, wenn wir Vollbeschäftigung nicht mehr erreichen? Was heißt Abschied von der Arbeitsgesellschaft?“ Fischer spricht eine neue Organisation der Lebensarbeitszeit an, denkt über die Vermittlung zwischen den Grenzen des Wachstums und der Sicherung der sozialen Systeme nach – und zeigt damit zugleich die Grenzen der Haushaltsdebatte auf.