Warum war der Kraken-Bügel offen?

■ Gericht: Ein technischer Defekt an dem Kirmes-Karussell kann den schweren Freimarktunfall vor drei Jahren verursacht haben

Dem Gehilfen des Kirmes-Fahrgeschäfts „Krake“ muß gestern ein Stein vom Herzen gefallen sein. „Im Zweifel für den Angeklagten“, entschied das Landgericht in einer Berufungsverhandlung zu seinen Gunsten – und sprach ihn vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung frei. Ein früheres Amtsgerichtsurteil über sechs Monate Haft auf Bewährung sind jetzt von seinen Schultern.

Der Grund: Es sei technisch denkbar, daß sich die Haltebügel des Drehkarussells vor drei Jahren während der Fahrt geöffnet hätten, so das Gericht. Dieser Version des Angeklagten Schaustellergehilfen hatte auch der Sachverständige im Prozeß Berechtigung eingeräumt. Das Öffnen der Bügel sei als technischer Defekt denkbar, sagte der Gutachter, der bislang zugleich die jährliche TÜV- Abnahme des Fahrgeschäftes erledigt hatte. Diese Sicht hatte zuvor auch ein „erfahrener Krakenfahrer“ bestätigt: Über dem Bremer Jungen, der als unabhängiger Zeuge auftrat, hatten sich nur wenige Tage vor dem Unfall von Henrike F. ebenfalls die Haltebügel geöffnet.

Anders als die achtjährige Henrike konnte der Junge allerdings auf sich aufmerksam machen, so daß die Fahrt gestoppt wurde. Ihm blieb damit eine echte Horrorfahrt erspart: Die Runden, die Henrike und ihre Freundin über den Köpfen der FreimarktbesucherInnen auf der Bürgerweide drehten, wurden erst durch einen schweren Unfall beendet: Nachdem Henrike zuvor vergeblich Halt gesucht hatte, flog sie aus dem Sitz und erlitt beim Aufprall schwere Verletzungen. „Es ist unglaublich und gefährlich, daß das bei einem so alten Fahrgeschäft tatsächlich passieren kann“, wundert sich der Richter noch heute.

Mit dem gestrigen Urteil ist die gerichtliche Odyssee für die mittlerweile elfjährige Schülerin Henrike allerdings noch lange nicht beendet: Zwar revidierte das Landgericht den früheren Urteilsspruch des Amtsgerichts. „Aber noch ist nicht entschieden, ob wir gegen das jetzt ergangene Urteil nicht Revision einlegen“, sagte der Anwalt. Er vertritt die Schülerin auch bei einer Zivilklage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld, die er bereits gegen den Fahrgeschäft-Betreiber und seinen Gehilfen eingereicht hat. ede