: Viel Glück auf der nächsten Baustelle
Asbest-Skandal am Hauptbahnhof: Prozeß mit Stammtisch-Charakter ■ Von Heike Haarhoff
Als Hamburg vor sechs Jahren die Nachricht ereilte, daß bald moderne Intercity-Express-Züge (ICE) mit rasanter Geschwindigkeit den Hauptbahnhof ansteuern würden, mußte „alles ganz schnell gehen“. Die Bauunternehmer Dieter B. und Holger H. erinnern sich noch heute gut an die Hektik, mit der „die Bundesbahn damals die Umbauarbeiten“ vorantrieb: Die Markthalle am Südsteg des Hauptbahnhofs mußten neu gestaltet und mehrere Läden im Januar 1991 eiligst abgerissen werden.
Daß dabei krebserregende Asbestfasern durch die Luft wirbeln, Bauarbeiter den Gift-Wolken schutzlos ausgesetzt sind, die Baustelle schließlich zwar stillgelegt, zwölf Kubikmeter verseuchter Baustoffe dennoch unsachgemäß beseitigt werden – „ich habe es nicht gewußt, das schwöre ich“, beteuerte Abbruchunternehmer Dieter B. gestern erneut vor dem Amtsgericht. Vor Jahren hatte die Staatsanwaltschaft Dieter B. und Holger H. wegen Baugefährdung und umweltgefährdender Abfallbeseitigung angeklagt. Doch die Gerichte vermochten keine Straftat nachzuweisen. Verhandelt wurden daher Ordnungswidrigkeiten.
„Vor fünf, sechs Jahren“, blickt Baufachmann Dieter B. verständnisheischend abwechselnd seinen Anwalt, den Staatsanwalt und Richter Rainer Treske an, „da hat doch niemand gewußt, daß dieses Baumaterial, also diese Proma-best-Platten, asbesthaltig ist“. Heute sei er da schlauer. Und als man die krebserregenden Platten irgendwann erschrocken zwischen dem Bauschutt entdeckte, da sei die Stillegung doch umgehend erfolgt.
Daß der tödliche Baustoff, den Dieter B. laut Staatsanwaltschaft „fahrlässig und umweltgefährdend“ beseitigt haben soll, tatsächlich Promasbest heißt, weiß der Bauunternehmer bis heute nicht. „Seit 1943“, erinnert der Leiter des Arbeitsschutzamts, Matthias Frommann, „ist Promasbest in Deutschland offiziell als krebserregender Baustoff eingestuft.“ Das Gericht hat Frommann nicht geladen. Und so kann der ebenfalls auf der Gerichtsbank sitzende Holger H., damals Bauleiter und Auftraggeber des Dieter B., unwidersprochen behaupten, er sei „ganz bestimmt“ davon ausgegangen, daß es sich „um einen ganz normalen Abbruch“ handelte. Auf eine kostspielige Asbest-Voruntersuchung wurde gutgläubig verzichtet. Wo doch auch die Bundesbahn Gegenteiliges versichert habe ...
„Aber dieser Name, Proma-best, da müssen Sie doch stutzig geworden sein“, runzelt der Staatsanwalt die Stirn. Richter Treske übernimmt die Verteidigung: „Bei solchen Namensähnlichkeiten“, gluckst er, „müßten Sie ja auch den Verdacht haben, daß im Joghurt Lünebest Asbest drin ist ...“ Die Stimmung im Amtsgerichtssaal gleicht einer Stammtischrunde. Ob „der Herr Staatsanwalt“ eigentlich mal gezählt habe, „wieviele Asbestfasern bei der Sprengung des Iduna-Hochhauses“ freigesetzt worden seien, prustet der Richter. „Ja“, grient er dann in Richtung Pressebank, „da können Sie mal sehen, wie das ist, wenn Juristen über eine friedliche Baustelle herfallen.“ Allseitiges Gelächter.
Der Staatsanwalt weist mehrfach auf die nahende Mittagspause hin. Wäre es da nicht besser, die Verfahren endlich einzustellen? Nicken. Bauleiter Holger H. soll so davonkommen, Dieter B. jedoch, fordert der Staatsanwalt, 5000 Mark Buße bezahlen. „Dann bin ich ruiniert“, klagt der. „Die Rezession in der Baubranche, und ich beschäftige nur Deutsche...“
Der Richter hat Verständnis: Einstellung des Verfahrens gegen 2000 Mark Bußgeld zugunsten – nein, nicht der Krebshilfe, sondern der Staatskasse. „Und viel Glück bei der nächsten Baustelle“, ruft Treske noch hinterher.
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