: Gefährlicher Medikamenten-Mix
Ein Anti-Giftgas-Mittel löste bei den US-Veteranen das Golfkrieg-Syndrom aus ■ Von Karin Bundschuh
Der Pharmakologe Mohammed Abou-Donia und seine Kollegen hätten kaum einen aktuelleren Zeitpunkt für die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse finden können. Der Golfkrieg lodert auf, und die US-Forscher präsentieren im Journal of Toxicology and Environmental Health die erste wirklich plausible Erklärung für das Golfkrieg-Syndrom. Ihre gut belegte These: Das mysteriöse Gemisch verschiedenster Erkrankungen habe eine Mixtur aus drei Chemikalien hervorgerufen, die den Soldaten zum Schutz ihrer Gesundheit verabreicht wurde. Doch anscheinend hat 30.000 der 750.000 US-Veteranen, die im Golfkrieg vor fünf Jahren gegen die Iraker kämpften, die medizinische Vorsorge vor allem geschadet.
Die erkrankten Soldaten klagen über chronische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Gedächtnisschwund, Ermüdung, Muskel- und Gelenkschmerzen, Hautausschlag, Atembeschwerden sowie Störungen der Magen-Darm-Funktionen. Als Ursache dieser Leiden haben die US-Wissenschaftler jetzt das Zusammenwirken dreier Substanzen ausgemacht, die, richtig dosiert und für sich alleine angewendet, verträglich sind. Es handelt sich um Pyridostigminbromid (PB), das vor den Folgen einer Nervengasattacke schützen soll, sowie um Dimethyl-m-toluamid (DEET) und Permethrin, die Insekten abwehren und bei Krankheiten wie Malaria wirken sollten. Für das Schutzmittel PB wurde seinerzeit auch vom deutschen Gesundheitsministerium noch schnell eine Sonderverordnung verabschiedet, so daß das nicht zugelassene Mittel auch deutschen Soldaten verabreicht werden durfte.
Abou-Donia und seine Forscherkollegen behandelten Hühner mit einem Cocktail aus genau den drei Substanzen. Dabei mußten sie feststellen, daß vier von fünf Tieren im Verlauf der Studie elend krepierten. Alle Tiere litten an Durchfall und zeigten sich schon nach der Gabe des ersten Chemikalienmixes leicht passiv. Die Atmung veränderte sich, sie wurde flach und schnell. Nach einigen Tagen begannen die Hühner zu zittern und bewegten sich nur noch schwankend und unsicher – bei einem Tier steigerten sich die Symptome bis zur Lähmung. Bei zwei Hühnern traten Krämpfe auf. Alle verloren an Gewicht. Bei der Untersuchung der toten Tiere stellten die Forscher fest, daß das Nervengewebe krankhaft verändert war: Die Nerven waren deutlich vergrößert oder zeigten krampfaderähnliche Ausstülpungen. Die Nervenzellen im Rückenmark waren weitgehend zerstört. Setzte das Forscherteam die Versuchstiere nur einem Stoff oder einem Gemisch von zwei Stoffen aus, so beobachteten sie entweder keine oder eine deutlich schwächere Wirkung der Chemikalien.
Eine genaue Analyse der Wirkmechanismen im Körper erklärt, wie es zur Vergiftung kommt. Das Anti-Nervengas-Mittel PB schützt den Menschen, indem es Enzyme abschirmt, die durch Nervengas wie Sarin oder Tabun vollständig blockiert werden: die sogenannten Cholinesterasen. Im Falle einer Giftgasattacke können die Cholinesterasen so die Reizweiterleitung zwischen Nerven und Muskeln aufrechterhalten – eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Der Clou dieser Prophylaxe liegt darin, daß PB nur einen Teil der Cholinesterasen abfängt. Die restlichen Enzyme können ihre lebenswichtigen Funktionen im Körper weiter wahrnehmen. Schluckt ein Soldat PB-Tabletten und ist glücklicherweise keinem Angriff ausgesetzt, löst sich die Bindung zwischen den Cholinesterasen und dem PB im Verlauf weniger Stunden spontan.
Die Cholinesterasen regulieren aber nicht nur die Reizleitung zwischen Nerv und Muskel, sie spielen auch bei der Entgiftung eine wesentliche Rolle. Unter anderem sind sie für den Abbau der Stoffe DEET und Permethrin mit zuständig. Gerade bei diesem speziellen Typ der Cholinesterasen ist die Wirkung von PB besonders stark. Durch die Giftgas-Prophylaxe fehlen dem Körper zur Entgiftung also große Mengen an Cholinesterasen. Die Leistungsfähigkeit ist beträchtlich vermindert. DEET und Permethrin werden nur unzureichend abgebaut und lagern sich im Nervengewebe ein, wo sie ungebremst ihre toxische Wirkung entfalten können. Und diese gleicht den Symptomen des Golfkrieg- Syndroms in auffälliger Weise. Permethrin beeinträchtigt die Funktion der Nervenfasern, indem es eine Übererregung auslöst. Bei DEET-Vergiftungen haben Wissenschaftler heftiges Zittern, Ruhelosigkeit, undeutliche Sprache, Anfälle, eingeschränkte kognitive Funktionen und Komazustände beobachtet.
In der Vergangenheit hatten die kranken Soldaten immer wieder gemutmaßt, daß ein Giftgasangriff der Iraker, den das Pentagon allerdings stets geleugnet hatte, für ihre Leiden verantwortlich ist. Diese These ist nun unwahrscheinlicher geworden, wenn auch das Forscherteam um Abou-Donia nicht ausschließen will, daß es noch weitere Ursachen für das Golfkrieg- Syndrom gibt.
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