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Einseitig, schlampig und voller Ungereimtheiten

■ Ein Buch über die Versäumnisse bei den Ermittlungen löste einigen Wirbel aus

Das Buch löste schon vor seinem Erscheinen beträchtlichen Wirbel aus. Allein die Tatsache, daß der Junge Welt-Redakteur Wolf Dieter Vogel sein Buch „Der Lübecker Brandanschlag“ am vergangenen Freitag in den Räumen des Lübecker Rathauses präsentieren durfte, wurde in der Hansestadt zum Politikum. Die Justiz werde durch das Werk „unter Druck gesetzt“, urteilte etwa Klaus Puschadel, Chef der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Und die Lübecker Nachrichten nutzten die Gunst der Stunde, zum wiederholten Mal den Rücktritt von SPD-Stadtchef Michael Bouteiller zu fordern: „Ein Bürgermeister, der die Buchpräsentation im Rathaus nicht zu verhindern sucht, ist unerträglich.“

Über Unerträgliches weiß auch Wolf Dieter Vogel auf den 128 im Berliner Elefanten Press Verlag erschienenen Seiten zu berichten, die heute zum Preis von 19,90 Mark in den Handel kommen. Der Autor zeichnet das Bild eines Justizskandals, indem er kenntnis- und faktenreich die bekanntgewordenen Ungereimtheiten, Schlampereien, Unterlassungssünden und Einseitigkeiten der Ermittlungen der Lübecker Staatsanwaltschaft zusammenträgt und sie zu einem Plädoyer für den Beschuldigten Safwan Eid ordnet.

Während er dabei eine Täterschaft der jungen rechtsgerichteten Männer aus Grevesmühlen in den „Bereich der Spekulationen“ verweist, wird im von Beate Klarsfeld verfaßten Vorwort die Grenze zur Vorverurteilung zumindest an einer Stelle überschritten. Die in Paris lebende deutsche Journalistin schreibt von den „wirklichen Tätern“ und läßt keinen Zweifel daran, wen sie damit meint.

Vogel will parteilich sein, Gegenöffentlichkeit herstellen. Dabei enthält er sich jedoch jeglicher polemischen Wertung. Auch mit dem in linken Kreisen erhobenen Vorwurf, die Staatsanwaltschaft habe „rassistisch“ ermittelt, geht er differenziert um. Allerdings weist er darauf hin, daß „den Aussagen von über 30 Flüchtlingen weniger Glauben geschenkt wird als einem Deutschen“.

Ergänzt wird Vogels Überblick über den Stand der Ermittlungen und Gegenermittlungen durch Interviews mit Michael Bouteiller und einem ehemaligen Bewohner des ausgebrannten Flüchtlingsheims. Mehrere Kapitel sind vergleichbaren, weniger bekannten Ermittlungsfällen gewidmet, in denen nichtdeutsche Opfer zu Tätern gestempelt wurden.

Lesenswert ist auch die von Miriam Lang verfaßte Analyse der „Medienberichterstattung zum Lübecker Brandanschlag“. Die Journalistin zeichnet darin nach, wie Zeitungen von der taz bis zur Welt die staatsanwaltschaftliche Brandstiftungstheorie vielfach unhinterfragt übernommen und sich in der Berichterstattung fremdenfeindlicher Klischees bedient haben. Marco Carini

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