: Tarifparteien öffnen die Läden
■ Gewerkschaften erwarten heute Einigung über Lohn und Geschäftsschluß. Kommt ein Kompromiß zustande, werden 2.000 Geschäfte den Späteinkauf ermöglichen
Heute soll er endlich kommen: der Tarifabschluß im Berliner Einzelhandel. Nachdem die vergangene Verhandlungsrunde Mitte August ergebnislos verlaufen war, gehen die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) davon aus, daß nach dem Vorliegen von Tarifabschlüssen in Rheinland-Pfalz, Bayern und dem Saarland die heutige sechste Verhandlungsrunde die letzte sein wird. „Wenn die Arbeitgeber nicht auf ein Dumpingangebot hoffen“, so HBV-Verhandlungsführer Manfred Birkhahn, „müßte es zu einer Einigung kommen.“ Erst ein Ende des Tarifstreits macht ein längeres Einkaufen mit Inkrafttreten des neuen Ladenschlußgesetzes am 1. November möglich.
Um dann flächendeckend öffnen zu können, so Birkhahn, müssen die Arbeitgeber folgenden Punkten zustimmen: 1,85 Prozent mehr Gehalt für die 90.000 Beschäftigten im Einzelhandel und Beschränkung auf maximal zwei lange Abende in der Woche. Außerdem sollen die ArbeitnehmerInnen 20 Prozent mehr Freizeit für die Arbeit zwischen 18.30 Uhr und 20 Uhr und an den übrigen Samstagen zwischen 14 und 16 Uhr sowie einen regelmäßigen freien Samstag bekommen. Strittig sind weiterhin Ausnahmeregelungen für alleinerziehende und werdende Mütter und VerkäuferInnen mit Pflegefällen in der Familie. Birkhahn kritisiert, daß die Arbeitgeber in Berlin nicht akzeptieren wollen, was zuletzt in Bayern abgeschlossen wurde. „München ist auch eine Metropole“, so Birkhahn, „was in München gut ist, kann in Berlin nicht schlecht sein.“
Kommt es auch heute nicht zu einer Einigung zwischen den Tarifparteien, ist mit weiteren Streiks im Einzelhandel zu rechnen. „Wir sind noch nicht am Ende unserer Kampfmöglichkeiten“, so HBV- Verhandlungsführer Birkhahn. DAG-Verhandlungsführer Roland Tremper droht, daß die DAG die längeren Öffnungszeiten ab dem 1. November werde „verhindern müssen“, sollte sich in Berlin der „Krämergeist“ durchsetzen.
Einigkeit herrscht bei den Tarifparteien nur darüber, daß mit Beginn des neuen Ladenschlußgesetzes erst einmal viele Geschäfte mitmachen und dann je nach Umsatz entscheiden werden, ob sie dabeibleiben. Nach Einschätzung von Nils Busch-Petersen, Sprecher des Gesamtverbandes des Einzelhandels Land Berlin e.V., sei jedoch kein „goldenes Millennium“ zu erwarten. Busch-Petersen schätzt, daß 1.500 bis 2.000 der insgesamt 16.500 Geschäfte ihre Türen auf Dauer länger offen halten werden.
Haben die Verbraucher derzeit noch die Gewißheit, Wurst, Käse oder Schuhe keinesfalls Montag oder Dienstag abend kaufen zu können, werden sie ab dem 1. November unter Umständen von Pontius zu Pilatus laufen müssen, um zu sehen, wer die kundenfreundlichen längeren Öffnungszeiten mitmacht. Auch bei den morgendlichen Öffnungszeiten wird es voraussichtlich Änderungen geben. HBV-Verhandlungsführer Birkhahn geht davon aus, daß Kauf- und Warenhäuser dann statt bisher um 9.30 Uhr erst um 11 Uhr öffnen werden. Bei aller Ungewißheit ist Birkhahn von einem überzeugt: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wer nicht auf Erlebnisshopping gepolt ist, wird Einkaufen weiterhin als Übel empfinden.“ Barbara Bollwahn
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