: Juppés Haushalt für Maastricht
■ Die französische Regierung legt einen Sparhaushalt vor, der das Haushaltsdefizit reduzieren und zugleich die Steuern senken und die Wirtschaft ankurbeln soll. Doch im Volk rumort es, es drohen neue Streiks
Paris/Berlin (taz) – Die mit Spannung erwartete Frage, ob Frankreich die Maastricht-Kriterien erfüllen und die Europäische Währungsunion damit retten kann, ist entschieden – fürs erste: Das gestern vorgestellte Budget 1997 hält die Defizitvorgaben ein, wenn auch nur mit Hilfe eines buchhalterischen Kunstgriffs.
Der französische Voranschlag für 1997 stellte für Alain Juppé die Quadratur des Kreises dar: Der Premierminister muß das Haushaltsdefizit in den Griff kriegen, zugleich aber die Steuern senken, die streikwilligen Beamten besänftigen und die Wirtschaft ankurbeln. Nun schafft er von allem ein wenig.
Zum erstenmal seit Jahrzehnten steigen die französischen Staatsausgaben mit 1.552 Milliarden Francs (455 Milliarden Mark) im Vergleich zum Vorjahr nicht an. Erreicht wird dies durch beträchtliche Einsparungen in den Ministerien, namentlich bei der Kultur, dem Militär oder bei Beschäftigungshilfen. 5.600 Stellen werden im Staatsapparat abgebaut. Die Beamtengewerkschaften haben dagegen einen Streik für Mitte Oktober angekündigt. Juppé versucht, dem Arbeitskonflikt die Spitze zu nehmen, indem er den 1995 deklarierten Lohnstopp aufhebt. Die Gewerkschaften mobilisieren jedoch weiter und testen die Bereitschaft zu einer Kraftprobe mit der Regierung wie im vergangenen Dezember.
Die andauernde Austeritätspolitik, mit der die konservative Regierung die strengen Eintrittsbedingungen in die europäische Währungsunion erfüllen will, läßt jetzt viele einen heißen Herbst fürchten. „Ça suffit!“, titelte die Wochenzeitschrift Express kürzlich in einem „offenen Brief“ an den Präsidenten. „Es reicht.“ Die Arbeitslosigkeit stieg auf fast zwölf Prozent, und neben dem Sparhaushalt der Regierung bedroht auch die geplante Privatisierung von Staatsbetrieben wie Renault und der France Télécom weitere Stellen. Mit jeder Schreckensnachricht über einbrechende Investitionen und Exporte nehmen Angst und Wut in der Bevölkerung zu. Wegen der Streichung von Steuervorteilen für bestimmte Berufsgruppen gab es jetzt erste Streiks. So legten Journalisten beim Rundfunk und der Nachrichtenagentur AFP zeitweilig die Arbeit nieder.
Erst vor zwei Wochen zeigte Juppé, wie er sich die Rettung vorstellt: Er senkte die Einkommenssteuern um 25 Milliarden Francs, um damit die Konsumlust der Franzosen anzukurbeln. Nun stimmt auf der Einnahmenseite der Haushalt nicht mehr. Nicht zum erstenmal mußte der Premierminister damit für seinen Vorgesetzten Jacques Chirac die Kastanien aus dem Feuer holen, nachdem der Staatspräsident 1995 seine uneinhaltbaren Wahlversprechen gemacht hatte. Das Defizit wird 1997 deshalb nicht wie geplant 250, sondern 283,7 Milliarden Francs (83 Milliarden Mark) – kaum weniger als in diesem Jahr.
Die Maastrichter Defizitvorgabe (maximal drei Prozent des Bruttoinlandprodukts) wird auf dem Papier eingehalten. Laut dem Wirtschaftsministerium beträgt das Defizit „weniger als drei Prozent“; genauere Angaben werden mit Rücksicht auf die unsichere Entwicklung des Wirtschaftswachstums im nächsten Jahr verweigert. Den Schein gewahrt hat Juppé mit einer finanztechnischen „Pirouette“: Der französische Staat läßt sich zum Beispiel eine Rentenbevorschußung der France Télécom im Umfang von 37,5 Milliarden Francs 1996 auszahlen. Daß das Télécom-Geschenk nur einmal den Haushalt aufpäppeln kann, ist das Problem des nächsten Budgets, und dann wird Juppé sich sicher wieder „debrouiller“, zu deutsch: aus der Affäre ziehen. Europäische Partner Frankreichs, die solche Kunstgriffe in letzter Minute weniger gewohnt sind, warnen: Wenn den Budgetplanern einmal nichts mehr einfalle, drohe das ganze Gebäude einzustürzen – und mit ihm der Euro. Stefan Brändle/lieb
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