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Strahlen aus dem Sarkophag

■ In der Ruine von Tschernobyl steigen plötzlich die Radioaktivitätswerte, doch niemand kann sagen, was sich im Innern genau abspielt. Katastrophe, Meßfehler oder nur eine Zahlungserinnerung für westliche Baumilliarden?

Berlin (taz) – Zwei Meßsonden haben am Dienstag und am letzten Freitag eine erhöhte Neutronenstrahlung im Sarkophag des 1986 explodierten Reaktors Tschernobyl 4 gemessen. Nach Berichten der atomindustrienahen Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) in Köln ist die Zahl der gemessenen Neutronen um das Zwei- bis Zehnfache gestiegen. Der Anstieg hat am Montag nach Angaben der Atomzentrale etwa eine Stunde gedauert, wobei die Zahlen allerdings differieren.

Ein starker Anstieg der Strahlung könnte auf eine Kettenreaktion in den geschmolzenen Brennelementen hindeuten. Im schlimmsten Fall entsteht dabei große Hitze und Radioaktivität, der brüchige Betonsarg könnte abermals explodieren. Eine solche Katastrophe ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, da niemand ins Innere des Sarkophags blicken kann.

Laut ukrainischer Regierung haben Kontrollmessungen außerhalb des Reaktors keine erhöhte Radioaktivität ergeben. Eine Kommission untersuche den Vorgang. Evakuiert wurde entgegen erster Meldungen niemand, so die Behörden.

Eine physikalische Erklärung für die Messungen wären die Regenfälle der vergangenen Tage in der Ukraine. Durch die Risse im Betonblock ist mehr Wasser als sonst auf die erstarrte Strahlenlava des Unglücksblocks geflossen. Wasser aber bremst Neutronen, die bei den dort üblichen hohen Raten an radioaktiven Zerfällen auftreten. Langsame Neutronen werden besser gemessen als schnelle und führen auch zu mehr Atomspaltungen.

Der Wiener Risikoforscher und Werkstoffspezialist Wolfgang Kromp sieht in dem Alarm dagegen einen Propagandacoup der dortigen Atom- und Baulobby. Die Ukraine fordert vom Westen das Geld für den Bau eines neuen Sarkophags um den alten herum. Das Vorhaben würde mehrere Milliarden Mark kosten und hätte die „Dimension der Pyramide von Gizeh“, so Kromp. „Da läßt sich auch gut etwas für die Behörden abzwacken.“

Aus dem Umfeld der Atomzentrale in Tschernobyl hieß es gestern, daß die AKW-Betreiber derzeit akuter Geldmangel plagt. Die Löhne würden seit Juli nur noch zu einem kleinen Teil ausbezahlt. In der Atomstadt Slawutitsch, östlich von Tschernobyl, wird wegen der Geldknappheit nicht mehr in ukrainischer Währung eingekauft, sondern in eigens gedrucktem Geld der Atomzentrale. Reiner Metzger

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