Durchs Dröhnland: Herzen in Höchstgeschwindigkeit
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Irgendwie aus den Augen verloren hatte man Herbst in Peking, die kurz nach der Wende die „Bakschischrepublik“ ausriefen und noch 1990, ohne rot zu werden, Lennons „We need a Revolution“ nachsangen. Ende letzten Jahres glänzte man mit einer limitierten Single in rotem Vinyl, die allein dem Kult Genüge tat. Jetzt haben sie plötzlich eine neue Platte gemacht, aber die steht mal wieder zwischen allen Stühlen. Früher kam es einem vor, als verarbeiteten Sänger Rex Joswig und seine Kollegen vor allem die Einflüsse, die sie zu ihren Ostberliner Zeiten nicht hatten austoben können. Es schien fast, als könnten sie sich nicht recht entscheiden, was ihnen von dem Kram, den John Peel von der anderen Seite der Mauer so vorspielte, am besten gefallen hat. Nun versuchen sie ihren Wir-im-Prenzlauer-Berg- sind-auch-ganz-schön-autonom- Charme mit flockigen Dance- Beats aufzulockern. „Jesus war so cool“, schmeichelt ein Hintergrundchor, daß sich einem die Nackenhaare aufstellen, während Joswig so abgefuckt wie möglich daherraunzt und kaum das Stimmchen hebt. Und die eigentlich ganz hübsch programmierten Dance-Beats werden im Vordergrund von ziemlich dämlichen Mucker-Gitarren ad absurdum geführt. „Komm in mein Haus, ich will dir weh tun“ droht Joswig, und man weiß wirklich nicht, ob sich der Mensch überhaupt selbst noch ernst nimmt. Denn wenn man sich ein wenig Mühe gibt, kann man den neuesten Entwurf von Herbst in Peking problemlos als Parodie auf altgewordene Rocker, die nach Anschluß suchen, sehen.
Mit Automatic Noir, 20. 9., 21 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Wer auf einer solch profanen Spielwiese wie dem Hardrock nach Eklektizismus sucht, der muß seinen Blick nach Norden richten. In Skandinavien hatten sie noch nie Manschetten, noch die lächerlichsten Gitarrenriffs ins Übermenschliche zu überhöhen. So auch Hedge Hog aus Norwegen, die sich einen Jazz-Trommler geholt haben, damit der ihre penetranten Rhythmus- und Stimmungswechsel mitmacht. Die Gitarrenriffs sind mal knorke Mainstream, mal fusseliger Hardcore- Punk. Und der Sänger jammert ähnlich betroffen wie Eddie Vedder. Viel heiße Luft also, aber welche, die sich klasse anhört.
21. 9., 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224
Die Bronx Boys kommen zwar nicht aus New York, aber ihren Spaß haben sie trotzdem, wenn sie rappenderweise Ayrton Senna verarschen, weil er sich zu Tode gerast hat, oder wenn sie sich über BSE freuen. Die bekennenden Nordlichter ziehen sich ihre Kappen tief ins Gesicht und eröffnen die hiesige Abteilung von Ice-T's Verein. Deshalb covern sie auch dessen „Body Count“, was bei ihnen dann halt „Leichenzähler“ heißt. Überhaupt haben sie es mit dem 1:1-Übersetzen, ständig soll jemand seine Mutter ficken. Unter den bösartig holprigen Texten knarzt eine herkömmliche Rockbesetzung leidlich groovend daher. Am schönsten sind noch die Pennälerscherze: So wird ausgerechnet „Bronx Boys Go!“ im perfekten Lindenberg-Slang dahergenuschelt. Aber welch Geistes Kind hier wirkt, merkt man schon an den Pseudonymen: Der Bassist nennt sich Dick Darm. Ganz altmodischen Melodycore dagegen spielen Skin of Tears. Vier Jungs aus Wermelskirchen, die ihre Doughboys gehört haben. Ganz allerliebst auch ihre Version von Don Henleys „Boys of Summer“. Die wissen wie man Herzen in Höchstgeschwindigkeit rührt.
21. 9., 22 Uhr, Thommi-Weißbecker-Haus, Wilhelmstraße 9
Ihr Ziel sei es, hat Rennie Sparks einmal verkündet, „reich und berühmt“ zu werden und dann „einen Streichelzoo aufzumachen“. Ein andermal hat sie davon berichtet, daß ihr manisch- depressiver Gatte den Großteil des vergangenen Jahres in einer Nervenheilanstalt verbrachte, sie selbst arbeite andauernd an Selbstmordplänen. Möglicherweise, vermutet sie, seien deshalb ihre Texte etwas verrückt geraten. Die Texte, die sie schreibt über Pudel und Ponies, Mord und Todschlag, das Leben halt. Kafkaesk sei das, meinten viele, weil sich Menschen schon mal in Riesenameisen verwandeln. Vorher hat Sparks Kurzgeschichten geschrieben, die zum Beispiel so begannen: „Im Sommer 1973 brachte meine Mutter mir und meinem Bruder bei, wie man Gin Tonic macht.“ Gesungen wird das dann von Ehemann Brett. The Handsome Family wird komplettiert von Mike Werner, der an den Schlagwerkzeugen immer viel Spielraum hat. Denn die drei aus Chicago machen meist ganz langsam. Das klingt zwar wie Country, aber ist so unendlich traurig, daß einem vor Mitgefühl fast schlecht wird. Gerade weil sie Country ernst nehmen, müssen sie ihn so schüchtern und vorsichtig und zurückhaltend renovieren – im Gegensatz zu Ween, die ihn einfach abbildeten und damit der Lächerlichkeit preisgaben. „Milk & Scissors“ dagegen, die zweite und bisher letzte Platte der Handsome Family, ist einfach nur zum Weinen schön.
22. 9., 21 Uhr, Huxleys Junior, Hasenheide 104
Die wöchentliche Britpop-Dosis verabreichen diesmal Dodgy, die trotz angestrengter Bemühungen nie ganz aus der zweiten Reihe getreten sind. Dabei haben die drei aus Hounslow nicht nur alles was die Branchenführer Blur und Oasis auch haben, also nette Melodien und viel Frohsinn, sondern auch zusätzlich ein paar unübersehbare Vorteile: einen Trommler, der aussieht wie Psychologe Fitz in jungen Jahren (überhaupt macht die ganze Band was her und ist nicht nur Pilzkopf), ein bißchen Rock ist auch im Angebot, durchaus amerikanisch manchmal, wenn Nigel Clark nölt wie Neil Young, und sie sind sich nicht zu blöde, die Bee Gees als prominenten Einfluß auch hörbar zu machen. Der Rest ist wie bei allen anderen auch Beatles, Beatles, Beatles.
23. 9., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz
Thomas Winkler
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