Parfümierte Lebenslügen

■ Premiere von „Moderato Cantabile“ im Altonaer Theater

Die Frau rückt ihren Klavierstuhl zurecht, legt die Finger auf die Tasten, zieht sie wieder zurück auf ihren Schoß. Sie seufzt. Gelangweilt und uninspiriert fängt sie an, stellvertretend für ihr Kind zu spielen: Antonio Diabellies Sonatine 1, opus 168. Lose Töne, auf und ab. Manchmal anmutig, meistens penetrant. Ein locker gehäkelter Klangteppich, so stieselig wie das Musikzimmer der Klavierlehrerin, bei der Anne Debaresdes' Sohn jeden Freitag Unterricht nimmt.

Es ist ein „schwieriges Kind“, zetert die Klavierlehrerin, „das noch nicht mal weiß, was ,moderato cantabile' heißt.“ Doch die Mutter schaut respektvoll auf den Ungeratenen, der gegen jede Metrik rebellierend, jedes Intonationsmaß verachtend, seine wöchentliche Pflicht erfüllt.

,Moderato Cantabile – Gemäßigt singend', wie unerträglich, wenn das Leben in diesem verwunschenen Küstenort doch erst ab einer maßloseren Drehzahl leicht und interessant wird. Wie sich ihr Sohn „das Recht nimmt, nicht gerne Klavier zu spielen“, wird auch seine Mutter bald aufhören, am ungeliebten Gattinnendasein an der Seite eines stadtbekannten Gießerei-Besitzers zu nagen und endlich die Kette aus kleinmütigen Kompromissen aufbrechen, um im Exzessivieren aufzugehen.

Eine Affäre mit einem Unbekannten, im Café gegenüber, jeden Freitag, nach der Klavierstunde. Bis die Untreue von ihrem Lover aus der Geschichte geschossen wird. Ein Schuß, mitten ins Herz, und natürlich küßt sich das Liebespaar im Sterben noch auf die bluttropfenden Münder. Kleiner hat Marguerite Duras es in ihrem Roman „Moderato Cantabile“ nicht.

Doch wenn Solistin Beate Maes in Personalunion die vom Leben gelangweilte Gattin, Sohn und diverse Gesellschaftstatisten gibt, als zickige Klavierlehrerin Kind und Mutter zugleich maßregelt oder unendlich melancholisch an der Seite eines unsichtbaren Geliebten einen Wein nach dem anderen kippt, verspielt sich der Schmelz der Vorlage. Bald drängeln sich eine Menge imaginierter Gestalten auf der Foyerbühne im Altonaer Theater und schubsen Anne Debaresdes unbestimmte Sehnsucht nach dem großen, anderen Leben in neue Richtungen.

Mit sicherem Gespür für die parfürmierten Lebenslügen ihrer Hauptfigur umschifft Beate Maes unter der Regie von Fritz Bleuer alle Untiefen in Anne Debaresdes Seelenpein. Satz für Satz schafft sich die gebrochene Frau ihre eigene Geschichte, wird ihre eigene Heldin, ihr eigener Mythos. „Es ist vorbei“, kündigt sie ihre Erschiessung an und geht von der Bühne. Kein Schuß, kein Schrei, kein weggeküßtes Blut, nur eine souverän hergeredete Geschichte.

Birgit Glombitza