: Der Widerspenstigen Zähmung
■ Beim Tango haben Männer das Sagen
Sie kann es einfach nicht lassen. Rechter Fuß zurück, linker Fuß zurück. Zielstrebig zieht die Tänzerin ihren Partner über das blanke Holzparkett der Tanzschule. Dabei sollte sie ihn eigentlich mit ihren Schritten verfolgen: Rechter Fuß vor, linker Fuß vor. Und sie müßte sich „como dormida“, wie im Schlaf, führen lassen. Denn beim Tango Argentino bestimmen die Männer wo es langgeht.
Doch sie denkt nicht daran, das zu beherzigen. Der schmächtige Herr, auf dessen Stirn schon winzige Perlen glänzen, macht es ihr zu leicht. Er kriegt diese Frau nicht in den Griff. Ob das an seinen schweißnassen Händen liegt?
Vielleicht tröstet ihn der Gedanke an seine tanzenden Vorfahren: Die mußten erstmal lernen, ihre Geschlechtsgenossen zu führen. Denn der Tango, der im letzten Drittel des 19. Jahrhundert in den Elendsvierteln der Hauptstädte Agentiniens und Uruguays geboren wurde, war ein Tanz der Einwanderer. Und davon gab es weit mehr Männer als Frauen. Also schoben die Männer beim Tango ihresgleichen übers Parkett. 100 Männer standen statistisch gesehen 33 Frauen gegenüber. Die Prostitution verbreitete sich rasant, und in den Bordellen wurde Tango getanzt. „Der Tango ist in Buenos Aires ausschließlich ein Tanz schlecht beleumundeter Häuser und Tavernen der übelsten Art. Niemals tanzt man ihn in anständigen Salons oder unter feinen Leuten“, schrieb ein Londoner Journalist 1914 über den Tanz, der die Geschichte eines im Exil lebenden Volkes erzählt. Tango ist Tanz und Lied in einem. Tango erzählt vom nackten Elend der Einwandererfamilien, besingt die Liederlichkeit schmutziger Bordelle, beklagt die Erbärmlichkeit des Daseins: „Beim Glückspiel des Lebens, paßte ich mit siebeneinhalb, was die einzige Haltestelle war, die ich jemals richtig traf, denn ich war schon auf dem Abhang eines rettungslosen Ruins.“ Selbst in der Liebe kann der Tango nicht fröhlich sein „Ich baldower mein Bett aus und find' es untröstlich; als Erinnerung hab ich nur jenes Bildchen dort, alte Klamotten und meine gequälte Seele.“ Der Tango gaukelt kein Weltbild vor, in dem alles ein gutes Ende nimmt. So wurde der Tanz zum aufsässigen explosiven und erotischen Tanz der Unterschicht. Erst als der Tango in Europa vor dem Ersten Weltkrieg die feinen Salons eroberte, entdeckte auch die Oberschicht Argentiniens den Tanz, den sie bis dahin als frivol verschmäht hatte.
„Wenn ihr in die Cunita (das Wieglein) wollt, müßt ihr Männer das auch einfädeln“, ermuntert der Tanzlehrer die Tänzer. Mit zaghaften Schritten, die Augen fest aufs Parkett geheftet, sind sie damit beschäftigt, ihre Tanzpartnerinnen zu verfolgen: Er setzt den rechten Fuß vor, sie setzt den linken Fuß zurück. „Das könnt ihr solange machen, wie ihr wollt“, ermuntert der Tanzlehrer die Männer. Auch für die Tänzerinnen hat er einen Tip parat: „Ihr Frauen dürft nichts von den Männern erwarten. Wartet einfach ab, was passiert.“ Unbeirrt zerrt die Tänzerin am Hemdsärmel ihres Partners. Das entgeht auch dem Tanzlehrer nicht. „Wenn Ihr Euch nicht führen lassen wollt, müßt Ihr das Führen lernen. Als Frau könnt' Ihr das auch.“ Ein Gedanke, den die Tänzerin sofort ernsthaft in Erwägung zieht. Schließlich will sie selbst bestimmen, wann es in die Cunita geht. Die Musik verstummt. Jäh' wird sie aus ihren Gedanken gerissen. Partnerwechsel. Musik. So, mein Junge, nun komm' mal. Verfolg mich mal, denkt die Tänzerin belustigt und zieht ihren neuen Partner zu sich heran. Der bleibt stehen. Ein mahnender Blick. Kein Wort kommt über seine Lippen. Doch seine Augen sind sich sicher: „Ich habe hier das Sagen“. Überrascht gibt die Tänzerin den Widerstand auf. Er setzt den linken Fuß vor. Sie setzt den rechten Fuß zurück. Der leichte, aber bestimmte Druck seiner Hand auf ihrem Rücken genügt – sie geht widerstandslos mit in die Cunita. Er bestimmt wo es langgeht. Er muß die Schritte zählen und sich die Dramaturgie des Tanzes ausdenken. Er konzentriert sich,und sie verliebt sich – in den Tango. Sollen die Männer doch die Führung übernehmen. Aber nur auf der Tanzfläche!
Hermione Ganswind
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen