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Entschlossen unvernünftig

■ London ignoriert das Schlachtprogramm der EU

Eine Insel ist eine Insel ist eine Insel. „In ganz Europa gehen die Lichter aus“, seufzte der britische Außenminister kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges mit Blick über den Kanal.

Von Großbritannien aus gesehen ist Europa noch heute ein finsterer Ort. Eine französisch-deutsche Verschwörung bastelt an einem Superstaat Europa, beschneidet die britische Souveränität und versucht mittels einer Währungsunion den Finanzplatz London zu ruinieren.

Sowohl bei den regierenden Tories wie auch bei der Labour-Opposition stehen die Zeichen – es ist Wahlkampf – auf Selbstbehauptung und Festigung der Nation. Hintergrund der britischen Weigerung, das im Juni vereinbarte Schlachtprogramm an BSE-gefährdeten Rindern durchzuführen, ist weniger ein nationaler Überschwang als die Überzeugung, Großbritannien könne nur überleben, wenn es seine eigenen Interessen wahre. Schließlich machen das andere Länder auch. In Deutschland steuert Kurt Biedenkopf einen Konfrontationskurs gegen die EU, um die sächsische Autoindustrie zu retten. Warum sollten britische Politiker nicht ebenso entschlossen ihre Rinderzüchter verteidigen?

Das Problem ist nur, daß die britischen Rinderzüchter gar nicht auf diese Weise verteidigt werden wollen. Die Fleischindustrie ist auf Exportmöglichkeiten angewiesen: Vor dem EU-Ausfuhrverbot gingen 30 Prozent ihrer Produkte ins Ausland. Je schneller das Verbot verschwindet, desto besser für sie. In der Zwischenzeit müssen sie versuchen, den Rinderbestand radikal zu verringern, um Kosten zu sparen und Preise zu stützen. Die plötzliche Aussetzung des Schlachtprogramms läuft beiden Zielen kraß zuwider.

Weder Konservative noch Labour haben dieses im Blick. Beide sind viel zu sehr mit der Verteidigung der Nation als Idee beschäftigt. Doch den Bürgern hilft das nicht weiter. Und sie wissen das. So ist es schon seltsam, wenn Regierung und Parteien aus Wahlkampfgründen eine Politik propagieren, die vom Wahlvolk gar nicht gewünscht wird. Noch kurioser wäre es aber, wenn britische Bauern, dieser Berufsstand, der zu den Bastionen des alten Großbritannien zählt, bald ihre Interessen eher in Brüssel gewahrt sehen als in London – dann ist die Insel bald keine Insel mehr. Dominic Johnson

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