Jelzins gläsernes Herz hat mehr als einen Sprung

■ Neue Gerüchte um geplante Operation. Von einem Routineeingriff ist keine Rede mehr

Moskau (taz) – Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer“, wird Boris Jelzin denken. Zum drittenmal haben Ärzte jetzt seinen Klinikaufenthalt verlängert. Die geplante Operation, die nach alter Gewohnheit von den Hofschranzen zunächst geheimgehalten und dann zu einem Routineeingriff heruntergespielt wurde, scheint sich zur existentiellen Frage von Sein oder Nichtsein auszuweiten.

Gegenüber dem US-amerikanischen Sender ABC enthüllte der behandelnde Arzt Renat Akschurin, der Präsident habe kurz vor dem zweiten Wahlgang Anfang Juli einen dritten Herzinfarkt erlitten. Akschurin hätte sich lieber an die Devise gehalten: „Schweig stille mein Herz!“ Denn das staatliche Fernsehen unterschlug dieses Detail. Glücklicherweise gehören die Journalisten nicht zum Ärztekonzilium, das über den Eingriff entscheiden soll. Dennoch ist die Diskussion entbrannt, hatte Jelzin einem Herzinfarkt, oder litt er nur an einer transitorischen Insuffizienz? Akschurin dementierte halbgar, seine Erkenntnisse basierten nur auf medizinischen Unterlagen. Doch gab er zu verstehen, der führende Kardiologe des Landes werde sich wohl kaum täuschen.

Währenddessen hält sich die Politikerkaste an das sowjetische Glaubensgesetz, der Präsident ist so gesund, wie man ihn betet. Erst kürzlich strahlte ein privater Fernsehsender Archivmaterial aus, das Generalsekretär Breschnew in den letzten Jahren seines Lebens als eine Duracell-gespeiste Mumie entlarvte: tabletten- und alkoholabhängig. Er wollte sein Amt niederlegen, doch man ließ ihn nicht.

Mittlerweile hat Jelzin ein schwaches, dafür aber gläsernes Herz. Warum enthüllte Akschurin erst jetzt das maßgebliche Detail? Wahrscheinlich, weil es sonst via ausländische Medien nach Rußland gelangt wäre. Peinlich achtet man darauf, die beiden Hannoveraner Herzspezialisten und den US-amerikanischen Kardiologen Michael Debakey (noch) nicht direkt mit der Operation in Verbindung zu bringen. Vollmundig hatte sich Jelzin selbst in die Hände seiner heimischen Spezialisten überwiesen. Nun kommen die Bedenken. Auch scheint es, als fürchteten die Kreml-Ärzte noch etwas: Der Eingriff ist kompliziert, weil der Patient offenkundig noch eine Reihe anderer Ersatzteile bräuchte. Von Nierendysfunktion bis Leberzirrhose reicht die Gerüchtediagnostik. Könnte man Jelzin doch nur empfehlen, er möge sich ein Herz nehmen! Die informationspolitisch stümperhafte Ausschlachtung seines Körpers grenzt schon an Menschenrechtsverletzung. Klaus-Helge Donath