: Allein gegen die Mafia
Weißrußlands Präsident Aleksander Lukaszenko hat sein Saubermann-Image eingebüßt ■ Aus Brest Jacek Pawlicki
Weißrussische Parlamentssitzungen sind nur selten die Importkrimis wert, an deren Stelle sie manchmal im Fernsehen übertragen werden. Doch jene Sitzung, die da am 31. März 1994 in Minsk ablief, war besser als ein Krimi. Und hatte mehr Folgen. Da stand ein mittelgroßer, schnurrbärtiger Mann am Mikrofon und bezichtigte alles, was Rang und Namen hatte im hohen Hause, der Korruption. Da waren Kleinigkeiten dabei wie die unklare Finanzierung privater Datschen. Aber auch große illegale Aktionen, wie von der UNO verbotene Waffen- und Öllieferungen an die Kriegsparteien Exjugoslawiens.
Eigentlich hätte Aleksander Lukaszenko als Vorsitzender des Antikorruptionsausschusses ja nur den früheren Dissidenten Stanislaw Szuskiewicz stürzen sollen, der nach dem Putsch gegen Gorbatschow als Parlamentspräsident an die Macht gekommen war. Der stellte sich nun den Absichten der kommunistischen Mehrheit entgegen, die eine stärkere Anlehnung an Rußland vorantreiben wollte. Lukaszenko erreichte sein Ziel. Als er mit seiner Rede fertig war, mußte Szuszkiewicz gehen, weil er seine Datscha angeblich mit Staatsgeldern renoviert hatte.
Doch das blieb nicht die einzige Folge. Obwohl der Sitzungsvorsitzende dem eifrigen Lukaszenko zwischendurch das Mikrofon abstellte und ein Beschuldigter nach dem anderen ans Mikrofon trat und die Vorwürfe dementierte, wurde der Mann im ganzen Land als Held gefeiert, der rücksichtslos mit der Korruption aufräumt. Er hatte Kommunisten, Demokraten, Liberale und Agrarier angeklagt, und die auflagenstarke Tageszeitung Sowjetisches Weißrußland war so unvorsichtig gewesen, darüber zu berichten, bevor sich Lukaszenko sich auch noch jener annahm, für die dieses Blatt eintraten. Wahrhaftig, so schien es in der Öffentlichkeit, der Mann fürchtet nichts und niemanden, ein Kerl wie aus dem Western.
Es half nichts, daß Premierminister Wiaczeslaw Kiebicz den renitenten Abgeordneten als ausländischen Agenten denunzierte, daß das staatliche Fernsehen behauptete, Lukaszenko habe sich auf einem Flug nach Peking am Gepäck einer Stewardeß vergriffen. Lukaszenkos Notierungen stiegen und stiegen. Er trat schließlich bei den Präsidentschaftswahlen gegen den amtierenden Premierminister Kiebicz an. Der ging gleich in die vollen: Als Lukaszenkos Wagen auf Wahlkampftour beschossen wurde, verkündete das Innenministerium allen Ernstes, Lukaszenko selbst habe die Schüsse auf den fahrenden Wagen abgefeuert.
Der Mann, der im Namen Kiebiczs die Kampagne gegen Lukaszenko führte, hieß Wladimir Zametalin, ein Ex-KGB-Oberst. Es galt als ausgemacht, daß das Schicksal dieses Mannes im Falle eines Wahlsiegs Lukaszenkos nicht beneidenswert sein würde. Weit gefehlt. Aleksander Lukaszenko, selbst ehemaliger KGB- Grenzer und Kolchosdirektor, gewann die weißrussischen Präsidentschaftswahlen: mit einem Wirtschaftsprogramm, das aus frommen, aber miteinander in Widerspruch stehenden Wünschen bestand, nebelhaften Vorstellungen von Demokratie, keiner Hausmacht, dafür aber die Hoffnung der Weißrussen im Rücken, er möge mit der Korruption im Lande aufräumen.
Kaum gewählt, ernannte Lukaszenko eben jenen KGB-Mann Zametalin, der die Kampagne gegen ihn geleitet hatte, zu seinem engsten Berater. Und in der Politik machte er da weiter, wo seine Vorgänger aufgehört hatten. Noch im Wahlkampf hatte er versprochen, er werde notfalls auf Knien in Moskau darum bitten, daß Weißrußland sich Rußland anschließen dürfe. Zunächst sah es auch so aus, als würde er damit Ernst machen. Doch dann entdeckte der neue Präsident die Vorteile der Trennung; bis heute gibt es zwischen beiden Ländern keine Zoll- und Paßgrenze, wohl aber eigene Zollvorschriften. Das Ausstellen von Zollbefreiungen ist ein beliebtes Mittel in Osteuropa, genehme Firmen zu beglücken. Ist die zollfreie Ware für Rußland bestimmt, geht die Zollbefreiung zu Lasten des russischen Staatshaushalts – der Gewinn bleibt in Weißrußland.
Mit einer einfachen Masche – Zollbefreiung durch Lukaszenko für eine Briefkastenfirma auf der Isle of Man, Bankkonto in Finnland – bereicherte sich eine weißrussische Firma um umgerechnet Hunderte von Millionen Mark, indem sie Rußland mit billigem Schnaps überflutete. Als die Einnahmeausfälle in Rußland auf 320 Millionen Dollar aufgelaufen waren, platzte in Moskau einem Beamten der Kragen. Es stellte sich heraus, daß die betreffende Firma mit der Präsidentschaftskanzlei verflochten war.
Seither hat Lukaszenko viel von seinem Image als Saubermann der Extraklasse eingebüßt. Und er hat einen Nachfolger gefunden: den oppositionellen Abgeordneten Sergei Antonczyk. Der las nun seinerseits Lukaszenko im Parlament die Leviten. Titel seiner Parlamentsrede: „Korruption in der Umgebung des Präsidenten“. Direkte Folge: Der Chef der Präsidentschaftskanzlei, Leonid Syniczyn, und ein weiterer hoher Beamter traten zurück. Ansonsten wiederholte sich die Geschichte: Die anderen Beschuldigten traten ans Mikrofon und dementierten, Lukaszenko interpretierte die Beschuldigungen als Versuch, das Land zu destabilisieren, der renitente Oppositionsabgeordnete erhielt Drohungen und verlor seinen Arbeitsplatz. Lukaszenkos Furcht, es könne ihm so ergehen wie seinem Vorgänger, erwies sich allerdings als unbegründet. Bis heute jedenfalls noch ist er im Amt.
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