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Das Armlehnen-Türöffner-Mißverständnis Von Carola Rönneburg

Sehr geehrte Herren!

In nur wenigen Jahrzehnten wird die Emanzipation der Frau erfolgreich abgeschlossen sein. Bevor es zu spät ist, möchte ich daher das Wort ergreifen: Wir haben uns in einem wesentlichen Punkt mißverstanden. Als Frauen damit begannen, Ihren Arbeitsplatz zu besetzen, die Göttlichkeit Ihres Fortpflanzungsorgans anzuzweifeln und mit Ihnen auf einer Gehaltsstufe zu stehen, wollten sie beileibe nicht Ihnen gleich werden.

Bis heute wünschen wir nicht, mit Ihnen über HiFi-Anlagen, Autos und vermeintliche Eroberungen zu tratschen. Das machen wir unter uns aus. Anders gesagt: Niemand hatte die Absicht, ein Kumpel zu werden. Doch als wir endlich den Titel „das schwache Geschlecht“ los wurden, führte das bei Ihnen zu einem fatalen Fehlglauben. Wir hatten nämlich nicht vor, im Zuge der Gleichberechtigung sämtliche erprobten Umgangsformen über Bord zu werfen.

Da wäre zum Beispiel das Taschentragen. Früher war es durchaus üblich, daß Männer – unaufgefordert – ihrer Begleitung das Gepäck abnahmen, damit diese nicht verschwitzt, entnervt und halb ohnmächtig ihren Zielort erreichte. Heute sind die meisten Männer allenfalls zu einem scheelen Blick auf die Last von reisenden oder einkaufenden Frauen fähig; und in diesem Blick liegt oft unmißverständlich die Botschaft, die Dame möge bloß nicht um Hilfe beim Transport von etwas bitten, das wie eine eingetütete Steinsammlung aussieht. Natürlich fragen wir deshalb nicht nach Beistand, obwohl so eine Steinsammlung ganz schön schwer sein kann. Statt dessen schwitzen wir, geraten in knurrige Stimmung und fallen nur deshalb nicht in Ohnmacht, weil wir keinesfalls von einem Klotzkopf aufgefangen werden wollen. (Falls er dazu überhaupt bereit ist. Frauen sind schwerer als ihre Taschen.)

Ähnlich verhält es sich mit dem Türenöffnen. Mir ist kein Vorkommnis bekannt, bei dem eine Frau einen Mann, der ihr die Tür aufhielt, als Chauvinisten beschimpft oder gar auf der Stelle kastriert hätte. Versuchen Sie es einfach einmal, meine Herren: Öffnen Sie bei der nächsten Gelegenheit eine Tür, und lassen Sie der Dame hinter Ihnen den Vortritt. In neun von zehn Fällen ernten Sie ein überraschtes und freundliches „Dankeschön“. Der zehnte ist eine Verwechslung und ein Mann.

Sie dürfen uns auch gern in den Mantel helfen. Vielleicht üben Sie das zunächst mit einem Freund: Die Ärmel sollten weder in Höhe der Kniekehlen noch oberhalb der Schultern der mantellosen Frau angereicht werden.

Wenn Sie ein wenig überlegen, fallen Ihnen sicherlich auch noch andere Beispiele für den aufmerksamen Umgang mit dem anderen Geschlecht ein. Es wäre doch zu schade, wenn es weiterhin nur den Frauen überlassen bliebe, höflich zueinander zu sein – und dies sage ich nicht nur als ehrenamtliche Kinderwagenschlepperin an U- Bahnhöfen. Denn für alle Höflichkeitsregeln gilt wiederum eine Regel: Ihre Einhaltung besagt „Ich bin mir Ihrer Gegenwart bewußt“.

Denken Sie daran, meine Herren, wenn Sie wieder einmal tatenlos bewundern wollen, wie eine emanzipierte Frau ihren Koffer im Gepäcknetz verstaut.

Und noch etwas: Die Armlehne gehört beiden Geschlechtern. Zu gleichen Teilen.

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