piwik no script img

■ Kasseler Mercedes-Werk senkt die Löhne um fünf ProzentEin zukunftsweisender Deal

Die meisten Deutschen würden auf zwei bis drei Urlaubstage verzichten, wenn ihre Jobs in Gefahr wären. Viele würden sogar im Zweifelsfall weniger Gehalt akzeptieren, wenn ihnen sonst der Verlust des Arbeitsplatzes drohte. Umfragen belegen deutlich: Angst macht alles möglich. Vor diesem Hintergrund erscheint es wie eine Petitesse, was Werksleitung und Betriebsrat im Kasseler Mercedes-Werk jetzt ausgehandelt haben. Die Beschäftigten bekamen ihre Arbeitsplätze bis zum Jahr 2000 garantiert – im Gegenzug wird ihnen dafür der Lohn um fünf Prozent gekürzt. Die FacharbeiterInnen erhalten von Januar an Monat für Monat 115 bis 200 Mark weniger, verdienen damit allerdings immer noch über Tarif.

Die Einkommenseinbuße mag vertretbar erscheinen, entscheidend an diesem Fall ist jedoch das Signal, das von ihm ausgeht. Was bei Mercedes vereinbart wurde, ist ein Deal von morgen. Zuerst waren es Ostbetriebe, die nicht mehr nach Tarif bezahlten. Danach waren es Westunternehmen wie die Viessmann- Werke in Allendorf (Hessen), die von ihren Beschäftigten pro Woche drei Stunden mehr unbezahlte Arbeit verlangten und erfolgreich erpreßten, damit ein neuer Produktionszweig nicht nach Tschechien verlegt wird. Und nun ist es nicht nur ein renommierter Firmenname, sondern vor allem der Umstand, daß die IG Metall ihr Plazet gab. Der Mercedes-Standort in Nordhessen habe in Frage gestanden, sagte ein Gewerkschaftsvertreter. Der Betriebsrat hatte keine andere Wahl.

Mit der Arbeitszeitverkürzung bei VW vor drei Jahren ist der Kasseler Fall nicht zu vergleichen. Damals bekam die Belegschaft wenigstens mehr Freizeit für ihr Geld. Heute bekommt sie nur etwas, was in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich als selbstverständlich galt: einen sicheren Job.

Die neue Dimension, die in Kassel deutlich wird, ist das Abhandenkommen des Gegners. Kein empörter Aufschrei der Gewerkschaften, kein Schimpfen auf die bösen Unternehmer. Angesichts der objektiv vorhandenen Standortkonkurrenz wird Burgfrieden geschlossen in deutschen Unternehmen. Der Gegner sitzt irgendwo anders, nur weiß eben keiner mehr, wer der Gegner ist. Das ängstigt – auch wenn es diesmal nur um fünf Prozent weniger geht für vergleichsweise privilegierte Facharbeiter. Noch. Barbara Dribbusch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen