: Auf der Suche nach festen Prinzipien
■ Vorsorge für den nächsten Zensurfall in Deutschland: Providerverein „eco“ gründet unabhängigen Medienrat
Die niederländische Web- Adresse „www.xs4all.nl“ ist für Kunden der deutschen Internetprovider im Verband „Electronic Commerce Forum“ (eco) noch immer gesperrt. Zwar glaubt auch eco-Vorstandsmitglied Michael Schneider nicht mehr, daß die Bundesanwaltschaft ungehorsame Verbandsmitglieder heimsuchen werde, um an Ort und Stelle zu ermitteln, wie denn die strafbare Ausgabe der Zeitschrift radikal auf deutsche Bildschirme kommt. Der Weg ist offensichtlich, die radikal ist zudem auf über 40 anderen Rechnern abrufbar, der ganze xs4all-Server außerdem bei der Telekom und CompuServe.
Die Sperre könnte wohl gefahrlos aufgehoben werden, doch Schneider möchte für den nächsten Zensurfall gewappnet sein. Er will den Streit deshalb gerichtlich klären lassen, was deswegen nicht einfach ist, weil ja nicht der Generalbundesanwalt, sondern die sogenannte Internet Content Task Force, die Hauspolizei des eco- Verbandes, den niederländischen Rechner blockiert. Die Bundesanwaltschaft gab nur einen rechtlichen Hinweis. Trotzdem glaubt Schneider einen juristischen Weg gefunden zu haben. In der nächsten Woche will er einen Antrag an das Oberlandesgericht stellen – auch die Bundesanwaltschaft ist an einer Klärung des Präzedenzfalls im rechtlichen Niemandsland interessiert. Nur will sie sich dafür nicht selbst vor Gericht stellen.
So viele Leser jedenfalls hatte die radikal schon lange nicht mehr. Ebenfalls über diese allmählich auch international beachtete Zensur deutscher Behörden hinaus denkt der neue Medienrat, der sich am Dienstag in Köln konstituiert hat. Dem Gremium gehören heute zwölf Männer (keine Frau) an, darunter der Bremer Medienprofessor Herbert Kubicek. Es soll der freiwilligen Selbstkontrolle im eco- Verband Kriterien erarbeiten, mehr noch aber auch davon unabhängig seinen Sachverstand in die politische Diskussion hineintragen – die parlamentarische Beratung des Gesetzes über Informations- und Kommunikationsdienste beginnt noch in diesem Jahr. Die Gründungsresolution des Medienrats stellt fest, daß nationale Gesetze im Internet nicht mehr greifen, was dazu führen könne, „daß wir einem Mißbrauch des Internet zunehmend hilflos gegenüberstehen und darauf unüberlegt reagieren.“
Durchaus nicht unüberlegt hat xs4all eine Protesterklärung gegen die deutsche Zensur ins Netz gestellt, die inzwischen von einem guten Dutzend Organisationen unterzeichnet worden ist: http:// xs4all.nl/~felipe/press/global- alert.txt niklaus@taz.de
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