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Siebzehn Jahre wilde Mischung

Das Polit- und alternative Gewerbezentrum Mehringhof in Kreuzberg bietet 35 Projekten ein Zuhause. Die Arbeit der einzelnen Mieter bildet den Charakter der Projektegemeinschaft  ■ Ein Portrait von Christine Berger

Hausmeister haben immer einen Grund zum Fluchen. Mal ist der Müll nicht ordentlich in den Mülltonnen gelandet, der Putzdienst glänzt durch Nichtstun, oder der Fahrstuhl ist wieder mal kaputt. Im Kreuzberger Mehringhof ist in der Regel alles auf einmal der Fall, und dennoch schaut Hausmeister Peter noch recht fröhlich drein. Vielleicht liegt es daran, daß er sich einen gewissen Sarkasmus angeeignet hat, um an diesem Job nicht Federn zu lassen.

Vor allem aber sieht er täglich einen wesentlichen Vorteil vor Augen. „Das hier ist eben keine Standardtätigkeit“, sagt er und zählt auf, was alles zu seinen Aufgaben gehört. Neben Reparaturarbeiten kümmert er sich gemeinsam mit einer Kollegin um alles, was mit Gas, Wasser und Elektrik zu tun hat. Neulich haben die beiden sogar die Fenster im Mehringhof erneuert. Daß es hier keine Verwaltung gibt, die sagt, was sie zu tun oder zu lassen haben, sondern alle mit ihnen im Team zusammenarbeiten, unterscheidet die Hausmeister ebenfalls von Kollegen in ihrer Branche.

Aber auch der ungewöhnliche Job in einem für Berliner Verhältnisse einzigartigen Projekt bietet immer Grund zur Klage. „Die Leute kümmern sich zu wenig um ihr Haus“, nörgelt Peter. Die Tatsache, daß die Mieter gleichzeitig Eigentümer seien, werde oft verdrängt. „Immerhin ist das Haus jetzt 95 Jahre alt, da geht viel kaputt.“

Die Gebäude sehen erstaunlich proper aus

Daß der Mehringhof überhaupt noch steht, ist eigentlich ein Wunder. 35 selbstverwaltete, zum größten Teil kollektiv geführte Projekte tummeln sich dort auf 5.000 Quadratmetern. Seit der Gründung vor 17 Jahren stiefeln täglich unzählige Firmengründer, Kunden, Politaktivisten und Touristen durch die Gebäude. Angesichts dieser so publikumsintensiven Selbstverwaltung sehen die Gebäude an der Gneisenaustraße erstaunlich proper aus. Blankgewienerte Fußböden und Treppenhäuser zeugen davon, daß entgegen allen düsteren Hausmeisterprognosen der Putzplan ernster genommen wird als gedacht.

Neben dem gewissenhaften Fegen der Flure zeichnen sich die Mieter des Mehringhofs aber vor allem durch die Projekte aus. Thematisch deckt die berlinweit einzigartige Mischung fast alles ab, was die linksalternative Szene der Stadt zu bieten hat: Fahrradladen, Buchhandlung, Druckerei, Schülerladen, Theater, eine Kneipe, die Schule für Erwachsenenbildung und eine große Zahl an Selbsthilfegruppen und politischen Initiativen. Allen gemeinsam ist, daß sie ihre Zelte in einem Hausprojekt aufgeschlagen haben, für das sie selber verantwortlich sind. Dazu gehören besagte Putzdienste, Gartenpflege, Mülltonnen überwachen und die Teilnahme an den Mieterversammlungen, die alle zwei Wochen stattfinden.

Dort läßt sich freilich schon seit Jahren nur ein Bruchteil aller Mieter sehen. Dennoch dampft das Politkreuzschiff Mehringhof erstaunlich funktionstüchtig voran. „Das, was gemacht werden muß, passiert meist aus faszinierenden, unerklärlichen Gründen“, meint Mense Bauer, der seit zehn Jahren Ohne die SFE hätte es den Mehringhof nicht gegeben

Biologie und Chemie an der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) unterrichtet. Soll er über den Mehringhof erzählen, bringt er in erster Linie die Geschichte „seiner“ Schule ins Gespräch – und das ist nur verständlich, denn wie jedes Haus besteht auch der Mehringhof aus der Summe seiner Mieter. Fast 25 Jahre gibt es die SFE, und ohne die Schule hätte es den Mehringhof als Projektzentrum wahrscheinlich nie gegeben.

1979 suchten die Verfechter alternativer Lernformen nach einem neuen Dach über dem Kopf und taten etwas für damalige Verhältnisse sehr Exotisches: Statt, wie in der Szene üblich, einfach einen alten Kasten zu besetzen, zogen die Lehrer Kredite und Teilhaber an Land und kauften das alte Fabrikgebäude der Druckerei Berthold an der Gneisenaustraße für knapp zwei Millionen Mark. Zusammen mit sechs weiteren Gesellschaftern wurde anschließend die Mehringhof GmbH gegründet. Von Anfang an legten die alternativen Hauseigentümer fest, daß die Immobilie nach und nach in den Besitz all derer übergehen sollte, die darin arbeiten. Zu diesem Zweck wurde ein Mieterverein gegründet, dem der Besitz schrittweise übertragen werden sollte. Bald war das Haus an ein buntes Spektrum alternativer Projekte vermietet, und auch die SFE konnte zufrieden sein: Sie hatte nicht nur anständige Räume, sondern auch die passenden Nachbarn.

17 Jahre später ist in den Schulräumen von der Euphorie der Gründerzeit nicht mehr viel zu spüren. Wegen Schülermangels mußte die Bildungseinrichtung drei Viertel ihres Angebots streichen. Statt 50 bis 60 Lehrern arbeiten jetzt gerade noch 17 Pädagogen mit 250 Schülern. Gründe für den Abbau gibt es reichlich: „Pillenknick und die mangelnde Perspektive, mit Abi noch bessere Berufschancen zu bekommen“, nennt Mense einige Gründe. Viel mehr Schüler als in den siebziger Jahren machten außerdem schon auf dem ersten Bildungsweg Abitur. Auch mit dem selbstbestimmten Lernen, dem eigentlichen Zugpferd der Schule, hapert es. Immer weniger Schüler wollen sich um ihre Lerninhalte selber kümmern, kaum einer findet neben Job und Schule noch die Zeit, sich mit Lern- oder gar politischen Inhalten auseinanderzusetzen.

Heute steckt die SFE in einer Krise

Andere Projekte im Mehringhof sehen den Schwierigkeiten der SFE mit Sorge entgegen. Immerhin ist die Schule mit 35 Prozent größter Gesellschafter, die Folgen eines plötzlichen Niedergangs könnten für die gesamte Hausgemeinschaft unangenehm werden. Nicht umsonst also ist die Verwaltung derzeit bemüht, die GmbH zum Zweck der Kapitalneutralisierung in eine Stiftung umzuwandeln. „Das war von Anfang an geplant“, meint Geschäftsführerin Clara Luckmann, die zusammen mit ihrer Kollegin Olivia Santen den Mehringhof über bürokratische Hürden hievt.

Seit dem Mauerfall ist der Immobilienwert gestiegen

Vor allem seit dem Mauerfall geht im Haus die Angst um, einer der Gesellschafter könnte plötzlich seinen Anteil auf dem freien Markt verkaufen. Da der Wert des Mehringhofs mit der Zeit um ein Vielfaches gestiegen ist, sind die Anteile inzwischen Millionen wert. Vertrauen ist gut – Kontrolle besser, denken da viele Mieter, die sich oftmals untereinander kaum kennen, obwohl sie schon seit Jahren unter einem Dach leben.

Schuld an der Anonymität ist nicht unbedingt die Fluktuation der Projekte, sondern schlicht die Arbeitszeit. Firmen wie der Tee- und Kaffeehandel Ökotopia sind täglich präsent, während etwa der Ermittlungsausschuß, der sich um Rechtshilfe bei Festnahmen kümmert, nur Bürozeiten vor und nach Demonstrationen hat.

„Es gab mal den Ansatz, daß sich die Projekte auf der Mieterversammlung alle vorstellen“, meint Hans, der bei Ökotopia für den Kaffeehandel zuständig ist. „Das wurde zwar auch gemacht, aber gebracht hat das nicht viel“, meint er. Andere Mieter sehen denn auch im Mehringhof eine reine Zweckgemeinschaft, die sich Arbeits-, nicht aber Lebensräume teilt.

Projekte, die privat und beruflich eng in Kontakt stehen und die Hausgemeinschaft festigen, gibt es dennoch. So verkauft zum Beispiel der Buchladen und Verlag „Schwarze Risse“ neben den Büchern des benachbarten Stattbuch- Verlags auch Tee und Kaffee von Ökotopia. Außerdem veröffentlicht das Buchkollektiv die Ergebnisse des Forschungszentrums für Flucht und Migration, das ebenfalls sein Büro im Mehringhof hat. Von den Diskussionen um das Stiftungsmodell hält Buchhändler Rainer nicht viel. „Ich hab' das Vertrauen zu den Projekten, daß sie sich solidarisch verhalten.“

Neben politischer Literatur zu RAF und Antifa-Bewegung hat die Buchhandlung, die einst aus Infoständen zur AKW-Politik entstanden ist, längst auch Belletristik und Reiseliteratur in den Regalen. „Politisch interessierte Leute reisen ja auch oder lesen mal einen Krimi“, meint Rainer, der seit 14 Jahren im Laden arbeitet. Leben können er und seine Kollegen von der Bücherarbeit weniger denn je. „Den Sozialabstieg bekommen wir voll zu spüren“, sagt Rainer und meint damit, daß immer weniger KundInnen in der Lage sind, für ein Buch 40 Mark zu zahlen. Das macht ihn oft ratlos, „denn wir können nicht den Anspruch haben, nur billige Bücher zu verkaufen“, und ein gutes Buch habe nun mal einen gewissen Wert.

Die letzte Durchsuchung war vor acht Jahren

Angst vor staatlicher Repression haben die Buchhändler keine, „die letzte Hausdurchsuchung war vor acht Jahren“, meint Rainer. Seitdem herrscht Ruhe. Polizei läßt sich heute im Mehringhof allenfalls noch blicken, wenn wieder einmal eingebrochen wurde oder, wie zuletzt im Frühjahr, eine Serie von Brandstiftungen die Mieter beunruhigte. Die Zeiten, wo sich die Hausbesetzer der Umgebung im Versammlungsraum trafen und von anrückenden Cops auf die Wache geschleift wurden, sind lange vorbei. Der Mehringhof hat sein Stigma als Stein des politischen Anstoßes, als „kriminelle Fluchtburg“, wie es einst Innensenator Kewenig formulierte, verloren, was nicht zuletzt der leisen, politischen Arbeit der einzelnen Projekte zugute kommt. So genießt das Archiv des „Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile, Lateinamerika“ (FDCL) mittlerweile internationales Ansehen, Antifa-Gruppen können sich weitgehend unbehelligt treffen, und Pathhai e.V. ist die einzige Anlaufstelle für Tamilen in Berlin.

„Politische Avantgarde war der Mehringhof selber nie, aber einzelne Projekte schon“, bringt es Geschäftsführerin Clara auf den Punkt. Der politische Förderfonds „Netzwerk Selbsthilfe e.V.“ etwa war einer der ersten Sponsoren alternativer Betriebe und hat auch im Mehringhof manchem Gewerbe auf die Beine geholfen. Heute steht das Netzwerk selbst auf wackligem Boden. Immer weniger Mitglieder sind in der Lage, zu spenden, viele treten aus.

Daß sich zum Beispiel die Hausbesetzerszene in den 80er Jahren im Mehringhof tummelte, war unter anderem der SFE zu verdanken, „denn dort waren viele SchülerInnen in der Besetzerszene und zogen den Rest an“. Heute haben manche ehemaligen SFE-AbgängerInnen selber ihren Betrieb im Mehringhof und ackern in Selbstverwaltung, was oft an Selbstausbeutung grenzt. Kollektive wie Ökotopia, die seit Jahren Gewinne einfahren und sich immerhin 2.000 Mark im Monat auszahlen können, sind die Ausnahme. Obwohl Ökotopia als Handelsfirma mit einer Dachetage unglaublich schlecht bedient ist, können sich die Tee- und Kaffeehändler nicht zum Auszug entschließen. „Wir fühlen uns ideell einfach zum Mehringhof zugehörig“, meint Hans und nimmt dafür auch das „Nadelöhr Fahrstuhl“ in Kauf.

Andere Mieter wiederum bindet weniger der Idealismus als der relativ günstige Mietpreis von zehn Mark pro Quadratmeter an das Haus. Und auch die Gewißheit, keinen Eigentümer über sich zu wissen, der einem an den Karren fährt, wenn mal der eigene Hund in den Hausflur gekackt hat, ist beruhigend.

Womit wir wieder bei Hausmeister Peter wären. Für ihn sind die Schulferien die schönste Zeit, denn „die Hundehaltung der SchülerInnen hat unglaublich zugenommen“. Ihr Geschäft verrichten die Köter, wo es ihnen gerade paßt, und das ist auch den selbstverwalteten Verwaltern ein Dorn im Auge. „Wenn du die dann darauf ansprichst, antworten die das gleiche wie alle Hundehalter der Welt: ,Meiner würde so was nie tun.‘“

Was hat er eigentlich anderes erwartet?

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