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Alle Räder stehen still

■ Daimler-Entscheidung über Lohnfortzahlung stört Mercedes-Betriebsfrieden

reitag, 14 Uhr. Im Bremer Mercedes-Werk geht fast nichts mehr. Nach einer spontanen Protest-Versammlung von 3 - 4.000 Arbeitern vor dem Verwaltungsgebäude sind viele nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt – und wenn in der verketteten Produktionsweise ein Glied ganz zum Stillstand kommt, dann dauert es nicht lange, und die gesamte Produktionskette stillsteht. „Die Stimmung war so: Morgen kommen wir auch nicht“, berichtet Betriebsratschef Udo Richter. Formal ist er an die Friedenspflicht gebunden und darf spontane Arbeitsniederlegungen nicht unterstützen. Aber er beherrscht die Sprache, wie er seine Meinung dennoch deutlich machen kann.

„Zoff“ heißt das Flugblatt der IG Metall, in dem unverblümt, aber indirekt zur Arbeitsniederlegung aufgerufen wird. „Was soll ich tun? Ich kriege die Schrauben nicht in die Karosse...“, so der Alptraum von Muster-Arbeiter Uwe S. auf dem Flugblatt. „Stell' Dir vor, es gibt Sonderschichten und niemand geht hin.“

Als gestern gegen 11 Uhr einige tausend aufgebrachte Kollegen vor das Verwaltungsgebäude zogen, „da habe ich die Werksleitung angerufen und gesagt, besser die kommen und geben Auskunft, sonst bleiben die hier lange stehen“, berichtet Richter mit Augenzwinkern. Die Werksleitung kam. Auf die wütenden Vorwürfe, das Unternehmen begehe „Tarifbruch“ mit seiner Ankündigung einer Reduzierung der Lohnfortzahlung ab 1. Oktober, machten die Werksleiter deutlich, daß dies vom Daimler-Vorstand für den gesamten Konzern beschlossen worden sei. Ein einzelnes Werk könne da wenig tun. Rudolf Starke, Bremer Werksleiter, befürwortete deswegen öffentlich ein Spitzengespräch zwischen IG Metall und der Konzern-Führung.

„Die könnten einem leid tun“, interpretiert Betriebsrats-Chef Richter seine Werksleitung, „die sind an einer sehr kurzen Leine“. Insgesamt käme dieser Konflikt für den Automobilbereich, der gut im Geschäft sei, ganz ungelegen. In Bremen werden derzeit Sonderschichten gefahren und 500 neue Stellen eingerichtet, weil genug Arbeit da ist: „Die ganze Motivation wird so kaputtgemacht.“ Die Nachtschicht des Bremer Mercedes-Werks geht seit Tagen regelmäßig nach Hause. Die Spätschicht geht seit Tagen ein, zwei Stunden früher. Bis Donnerstag abend sind 1.000 Wagen weniger vom Band gelaufen. Das Werk muß damit rechnen, daß es bald unzufriedene Kunden gibt.

Der Betriebsrat hat seine Teilnahme an einem „Werksentwicklungsprogramm“ aufgekündigt. Am 1.10. soll es bundesweite Proteste geben, am 24.10. will die Gewerkschaft machtvoll daran erinnern, daß an jenem Tag 1956 die Lohnfortzahlung per Streik erkämpft worden ist.

„Ich bin überrascht, daß die Daimler-Konzernspitze das für alle Geschäftsbereiche so durchziehen will“, sagt Betriebsrat Richter. Die Bremer Werksleitung jedenfalls habe ihr Interesse an „Betriebsfrieden“ deutlich gemacht.

Wie zum Beweise geht die Tür zum Zimmer des Betriebrats-Chefs auf, ohne Anmeldung steht der Personalchef Jürgen Coers da, grüßt betont freundlich. Hinter ihm der Werksleiter Rudolf Stark. Dringend wollen die beiden den Betriebsratsvorsitzenden sprechen, möglichst allein. Der Journalist muß da gehen.

K.W.

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