Tarifrunde 97 herbeigekündigt

■ Metallarbeitgeber kündigen Tarifverträge und nennen Aktionen der Gewerkschaften "Funktionärsaufstand". Betriebsversammlung bei Mercedes-Benz

Die Tarifrunde 1997 für die regionale Metallindustrie beginnt schon heute – in erhitzter Atmosphäre. 2.000 Daimler-Beschäftigte wollen ihren KollegInnen folgen und heute für eine Betriebsversammlung die Arbeit niederlegen. Der Justitiar der regionalen Metallarbeitgeber, Ingo Dreyer, sieht die Aktionen der Gewerkschaften und Betriebsräte als „Rechtsbruch“. Gleichzeitig kündigte er für seinen Verband der Metall- und Elektroindustrie fristgerecht mehrere Tarifverträge.

Die Vereinbarungen über Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld in der Metallindustrie laufen damit zum Jahresende aus. IG-Metall-Bezirkschef Hasso Düvel sieht nun für den Winter einen „Großkonflikt“ heraufziehen, weil der Streit um die Lohnfortzahlung und die gekündigten Tarifverträge zusammenfielen. Ingo Dreyer konterte, daß das „nichts anderes als Kampfgeschrei“ der Metallgewerkschafter sei. Sie bräuchten dringend „Gesprächsstoff“ für die bevorstehenden Tarifauseinandersetzungen. In Berlin sind rund 100.000 Menschen in der Metallindustrie beschäftigt.

Die gekündigten Tarife sind Ergänzungen des Manteltarifvertrages. Den Arbeitgebern gehe es darum, so Ingo Dreyer, bei dem nun auszuhandelnden Abschluß „auch über die Einmalzahlungen“ zu reden. Sie sollten gesenkt werden, um Spielraum für Lohnerhöhungen zu bekommen. Dreyer griff die Gewerkschaften an, daß sie die Beschäftigten einseitig informierten. Es handele sich um einen „Funktionärsaufstand“.

„Die Belegschaft kommt zu uns, weil sie stinksauer und enttäuscht ist“, berichtete hingegen Kurt Krause, Betriebsrat in der Marienfelder Motorenfabrik von Mercedes-Benz. Krause hat die Belegschaft für heute zu einer „weiteren Betriebsversammlung“ eingeladen. Diese im Betriebsverfassungsgesetz für besondere Situationen vorgesehene Maßnahme wird die Produktion wohl weitgehend lahmlegen. „Die Aktionen, die jetzt laufen, kosten den Konzern eine Milliarde Mark – genau das, was sie durch die Lohnfortzahlung sparen wollten“, kommentierte Krause die Proteste der Belegschaft.

Unterdessen hat Bosch-Siemens-Haushaltsgeräte den taz-Bericht bestätigt, daß drei Betriebsvereinbarungen gekündigt wurden. Werksleiter Michael Facchini verneinte jedoch einen Zusammenhang mit den Lohnfortzahlungsprotesten. Die Maßnahme spare 1,5 Millionen Mark. Er wolle mit dem Betriebsrat über eine „Teilkompensation“ des Lohnausfalles sprechen, fordere aber Gegenleistungen, „die in Zusammenhang mit der Produktivität stehen.“ Christian Füller