SS-Mann Priebke: „guter Katholik“

Schriftliche Urteilsbegründung des Militärgerichts Rom für den Freispruch von NS-Verbrecher Erich Priebke: Mildernde Umstände allerorten für den „gehorsamen Befehlsempfänger“  ■ Aus Rom Werner Raith

Mit einer Reihe geradezu absurder Begründungen hat das Militärtribunal von Rom seinen Freispruch des SS-Kriegsverbrechers Erich Priebke Anfang August gekrönt: Danach hat sich Priebke mit der Beteiligung an der Erschießung von 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen als Repressalie für einen Partisanenanschlag 1944 zwar eines „Kriegsverbrechens, nicht aber eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ schuldig gemacht, was für den Vorsitzenden Agistono Qistelli offenbar mildernde Umstände bedeutet. Zudem sei „sehr viel Zeit verflossen“, der Angeklagte sei außerdem „nicht mehr kriminell auffällig geworden“ und ein „guter Katholik“ dazu, was seine „Loslösung vom Nazistaat eindeutig beweist“.

Ein angesehener, ruhiger Geschäftsmann sei Priebke in Argentinien – wo er 1994 verhaftet worden war – auch noch geworden. Er habe nur „Befehle befolgt“, ebenfalls mildernder Umstand, und ob er für die fünf überzähligen Erschießungen – der „Führerbefehl“ deckte „nur“ 330 Füsilladen – mitverantwortlich war, sei nicht bewiesen. So hätte man über Priebke, sagt der Vorsitzende, gerade mal „eine Strafe zwischen 21 und 30 Jahren verhängen müssen“, doch eine solche, durch mildernde Umstände bestimmte Strafe sei nach italienischem Recht eben schon verjährt. Punktum.

Oder auch nicht. Sarkastisch kommentiert die Anklagevertretung, mit dieser Begründung habe das Gericht „schlitzohrig die Maßgabe der Vereinten Nationen umgangen, wonach Kriegsverbrechen und solche gegen die Menschlichkeit überhaupt nie verjähren“; natürlich werde man gegen das Urteil Revision einlegen.

Noch sitzt Priebke im Gefängnis, weil Deutschland seine Auslieferung beantragt hat. Aber ob man den 83jährigen noch lange wird halten können, ist fraglich. Die Entscheidung über die Revision wird noch Monate, wenn nicht Jahre dauern, und inzwischen beantragt Priebkes Verteidigung jeden Monat erneut Haftverschonung – die sie angesichts des Alters von Priebke irgendwann erreichen wird.

So hoffen vor allem die wütenden Nebenkläger auf ein früheres Datum: Am 15. Oktober wird der Kassationsgerichtshof, die Revisionsinstanz, darüber entscheiden, ob das Militärgericht überhaupt zuständig war – schließlich sei Priebke als SS-Hauptsturmführer und nicht als Leutnant der Armee tätig geworden.

Wenig später muß sich auch noch das vom Kassationsgerichtshof angerufene Verfassungsgericht dazu äußern, ob man Priebke überhaupt an Deutschland ausliefern kann. Denn einerseits ist das Auslieferungsabkommen nicht ganz klar, und zweitens wurde Priebke von Argentinien ausdrücklich zur Aburteilung in Italien ausgeliefert, nicht zur Weitergabe an Deutschland. Das Hickhack wird auch nach der absurden Urteilsbegründung munter weitergehen.